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Frische Arrangements:
Rezension "Musicalgala 2012" in Ludwigsburg

Wer zum ersten Mal die Musicalgala im Forum Ludwigsburg besuchte, hatte am 5. Mai 2012 vermutlich ein echtes Vorher-Nachher-Erlebnis. Blasmusik, gilt sie doch gemeinhin als antiquiert, langweilig und allenfalls in Bierzeltlaune erträglich, wird dank der herausragenden Leistung des Kreisjugend-Orchesters (KJO) Ludwigsburg unter Leitung von Roland Haug in neue Klangdimensionen erhoben und lässt Musicalsongs einmal ganz anders klingen. Zusammen mit den profilierten Musicalsängern Kevin Tarte, Uli Scherbel und Andreas Lichtenberger bringen die jungen Musikerinnen und Musiker ein vielseitiges Programm mit hohem musikalischem Anspruch auf die Bühne, dem auch die kleinen konzeptionellen Schwächen keinen Abbruch tun.

Nach dem instrumentalen Intro „Consolat de Mar“ des spanischen Komponisten Ferrer Ferran betritt zu den ersten Tönen von „Sei hier Gast“ Uli Scherbel die Bühne. Wunderbar stilgerecht gibt er mit französischem Akzent den sprechenden Kerzenständer Lumière aus Disneys „Die Schöne und das Biest“ und gewinnt sofort die Herzen des Publikums. Genauso wie Andreas Lichtenberger ist Uli Scherbels erstmals zu Gast in Ludwigsburg, während Kevin Tarte schon zur Stammbesetzung zählt und mit entsprechendem Jubel begrüßt wird.

Das erste Solostück gehört Andreas Lichtenberger: „Der unmögliche Traum“ aus „Der Mann von La Mancha“ im Bläser-Arrangement, das sich wie bei allen Liedern des Abends vom Gewohnten deutlich unterscheidet und zugleich vertraut ist. Während Lichtenberger hier noch etwas angestrengt wirkt, kommen sein kraftvoller Bariton und vor allem seine pointierte Gestik beim „Song des King“ aus „Joseph“ und bei „Mack the Knife“ aus Brechts „Dreigroschenoper“ bestens zur Geltung. Stimmlich einwandfrei auch „Stars“, das vom Solo zum Duett und von Andreas Lichtenberger und Kevin Tarte gemeinsam präsentiert wird. Wer „Les Misérables“ kennt, fragt sich allerdings schon, ob es nötig ist, die ernste, getragene Grundstimmung gerade dieses Stücks durch eine Parodie auf den Starkult zu zerstören und mit einer Oscarfigur herumzualbern.

Viel besser passen die humorigen Gesten zu einem fröhlichen Musical wie „Starlight Express“. Wenn Kevin Tarte als „Starlight Express“ alias „Papa“ mit Bewegungen im Zeitlupentempo das Anrollen des Zuges symbolisiert und dann noch einen imaginären Dampfregler zieht, hat der Witz zugleich auch Stil. Ein wirklich gelungenes Duett von Tarte und Uli Scherbel mit sehr gut gesetzter schauspielerischer Untermalung. Ebenfalls überzeugend singt Tarte in „Send in the Clowns“ aus Sondheims „A little Night Music“, das Roland Haug für Blasorchester neu arrangierte. Die volle Bandbreite seines klassischen lyrischen Tenors jedoch zeigt Kevin Tarte mit „Core‘n Grato“, das Salvatore Cardillo 1911 für Enrico Caruso komponierte. Und ganz in der Tradition großer Stimmen liefert Kevin Tarte eine bravouröse Leistung ab. Mit virtuoser Stimmführung lässt er die Töne fließen und sich zu strahlendem Klang steigern. Mit viel Gefühl, sanft und zugleich kraftvoll – ohne Zweifel eine Meisterleistung und der gesangliche Höhepunkt des Abends.

Für die musikalischen Highlights ist das KJO zuständig, nicht umsonst ein Auswahlorchester, in das man wegen herausragender Leistungen berufen wird. Was die rund 90 Musikerinnen und Musiker zwischen 12 und 21 Jahren unter dem Dirigat von Roland Haug aus ihren Instrumenten herausholen, lässt die Blasmusik im althergebrachten Sinn weit hinter sich und definiert das Genre neu. Da braucht es nur wenige erklärende Worte zu „Flight - Adventure in the Sky“ und schon fühlt man das Prickeln beim Abheben des Flugzeugs, die schwebende Leichtigkeit des Fliegens, die Turbulenzen und zuletzt die sichere Landung. Das Kopfkino setzt sich in Gang – ausgelöst nur durch Klarinette & Co. Wahrlich ungewöhnlich. Die Übernahme von Gesangsstimmen durch Instrumente kennt man eher von Crossover-Projekten geigender Musiker, aber die Posaunenklänge bei „Only you“ schaffen das ebenso gut. Lediglich zu Beginn des zweiten Teils hätte statt des etwas langatmigen „Shirim“, was soviel heißt wie „Lasst uns singe“‘, ein Musical-Medley der Thematik des Abends besser entsprochen.

Verbesserungsbedarf gibt es sicherlich auch beim Programmablauf – so könnte man auf eine ausgewogenere Verteilung der Instrumentalstücke achten und die Moderation optimieren. Zwar gab es sehr klar verständlich vorgetragene Informationen, jedoch gesammelt und im Vorgriff auf den ganzen Teil. Der Stimmung zuträglicher wäre, die Sänger, die ja alle über beachtliche Entertainment-Qualitäten verfügen, mehr einzubinden und die Informationen gezielter zu platzieren. Passend auf jeden Fall dann wieder das Instrumental-Medley aus Hollywood-Melodien wie „Star Trek“, „Moon River“ und der Titelmelodie aus „Indiana Jones“ in einem Arrangement von Warren Barker, das wie alle übrigen Stücke mit sparsamen und zugleich wirkungsvollen Farbwechseln hinterlegt wurde, die mit dem Schwarz-Weiß des Orchesters einen optisch ansprechenden Bühneneindruck ergaben.

Schön auch die Idee, jeweils einen längeren Block aus einem Musical ans Ende der beiden Teile des Abends zu stellen. So beschließen Songs aus „Joseph“ Part eins. Hier glänzt vor allem Uli Scherbel als Joseph. Wenn er „Schließt jede Tür“ intoniert, kann man fast nicht glauben, dass über zwölf Jahre vergangen sind, seit er im Essener Colosseum Theater diese Rolle spielte. Die ganze Gefühlspalette dieses Charakters zeigt sich in perfekter Mimik und Gestik. Der hohe Bariton verfügt über eine sehr schöne Stimmfarbe, die seinen Gesang leicht und lebendig klingen lässt. Scherbel steht auch im Mittelpunkt des „Ich war noch niemals in New York“-Zusammenschnitts, der den zweiten Teil beschließt. Wenig Inhalt, aber viel Stimmung, besonders als „Kevinos Tartos“ und Uli Scherbel Sirtaki tanzen, wobei „Kevinos“ gegen seinen Kollegen keine Chance hat und das Tanzen dann auch lachend dem Profi Scherbel überlässt, der zuvor schon mit seiner Steppeinlage bei „“Can’t be bothered now“ begeistertes Staunen ausgelöst hat. Dafür hat Kevin deutlich mehr „Biss“, was er – mangels vorhandener Dame - sogleich an Uli Scherbel demonstriert. Neu an der Choreographie ist nur, dass sich Täter und Opfer lachend auf dem Bühnenboden wälzen, anstatt in totaler Finsternis unterzugehen. So endet unter großem Gelächter und tosendem Applaus der zweite Teil des Abends.

Ohne Zugaben geht es natürlich nicht: das KJO interpretiert „Caribbean Hideaway“ von James Barnes, bevor Kevin Tarte, Andreas Lichtenberger und Uli Scherbel gemeinsam „Ein Freund, ein guter Freund“ und „Danke für die Lieder“ singen. Das Publikum erklatscht sich noch eine Wiederholung von „Ein Freund, ein guter Freund“, bevor dann endgültig Schluss ist. Nicht nur die drei Musicaldarsteller, auch das KJO dürfte den einen oder anderen Fan hinzugewonnen haben.


Text: Sylke Wohlschiess

 

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