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Ganz großes Kino:
Rezension „Ghost" in Frankfurt

„Dito" sagt Sam. Und treibt Molly damit schier zur Verzweiflung. Denn obwohl sie weiß, wie sehr er sie liebt, ersehnt sie die drei kleinen Worte, die Sam einfach nicht über die Lippen bringt. Letztlich aber wird das Wörtchen „dito" zu einer Liebeserklärung, die ergreifender kaum sein könnte.

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„Ghost – The Musical" von Glen Ballard und Dave Stewart (Musik und Texte) sowie Bruce Joel Rubin (Buch und Texte) wurde 2011 in Manchester uraufgeführt und fand alsbald den Weg ins Londoner West End. Die variantenreiche Musik ist szenisch passend gewählt und reicht von Uptempo-Songs über Balladen bis hin zu Gospel und Soul.

Die Handlung folgt dem gleichnamigen Kinostreifen aus dem Jahre 1990, der mit Whoopi Goldberg, Demi Moore und dem viel zu früh verstorbenen Patrick Swayze in den Hauptrollen zum oskargekrönten Kultfilm avancierte, den vermutlich jeder kennt:

Das Glück von Sam und Molly wird jäh zerstört, als Sam auf offener Straße erschossen wird. Dass dies beileibe kein Zufall sondern vielmehr ein abgekartetes Spiel war, deckt Sam höchstpersönlich auf. Als Geist, unsichtbar für alle und hörbar nur für die schrille Wahrsagerin Oda Mae Brown, bleibt er in einer Ebene zwischen den Welten, denn er hat noch eine letzte Aufgabe zu erfüllen: Es gilt, Molly zu beschützen. Denn zu Sams Entsetzen steckt sein angeblicher Freund Carl hinter seiner Ermordung.

Bedenken, der Film könne gedanklich zu präsent sein, zerstreuen sich schnell. Unter Regie von Adam Penford ist ein wahres Juwel der Musicalkunst entstanden. Die Deutschlandpremiere im English Theatre Frankfurt entwickelt eine ganz eigene Faszination, berührt und begeistert vom ersten Moment an.

Auf der bis in den kleinsten Winkel geschickt ausgenutzten Bühnenfläche hat Tim McQuillen eine zauberhafte Szenerie geschaffen. Eine Metalltreppe führt auf eine zweite Ebene, das offene Geländer erzeugt optische Weite und einen realistischen Loft-Charakter. Sam und Molly reißen Bretter und Möbelabdeckungen herunter, schieben den knallroten Kühlschrank und die grellorange Couch in Position. Den Einzug ins neue Heim erlebt der Zuschauer hautnah mit, was sofort eine äußerst dichte, intime Atmosphäre erzeugt. Die räumliche Perspektive ändert sich durch schlichtes Verschieben eines fahrbaren Türelements, stimmige Requisiten bringen die handelnden Personen selbst mit ins nächste Bild.

In Verbindung mit perfekter Ausleuchtung entstehen fließende Szenenübergänge, man wechselt in Sekundenschnelle zwischen Wohnung, Café, Friedhof, Bankbüros und Straße. Ein Vorhang dient als Projektionsfläche und gleichzeitig als U-Bahn-Tür, LED-Screens nennen Adressen und Aktienkurse oder verraten auch mal, wer da wohl den übernervösen Carl mit wie von Geisterhand herunterfallenden Büchern zu Tode erschreckt. Die enge inhaltliche Anbindung des Bühnenbilds zeigt sich in vielen Kleinigkeiten, beispielsweise am Schild der „spirituellen Beraterin" Oda Mae Brown, bei dessen pink und grün leuchtender Schrift der ein oder andere Buchstabe fehlt, was nicht gerade den Eindruck besonderer Seriosität vermittelt.

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Exakt getanzte Choreographien fügen sich nahtlos ins Geschehen ein. Lee Prouds Meisterleistung indes liegt in den ausgeklügelten Bewegungsabläufen. Blitzschnell verschwinden Darsteller hinter Türen und in Schränken, um gleich danach an ganz anderer Stelle wieder aufzutauchen. Sam verlässt seinen Körper und liegt Zehntelsekunden später tot am Boden. Großen Anteil am Gelingen dieser täuschend echten, mit minimalem technischen Aufwand realisierten Effekte, haben die wenigen, aber wirksam eingesetzten Videos und Projektionen, für die Duncan McLean verantwortlich ist, und die geniale Lichtregie von Matt Daw.

Geist Sam wird stets hell ausgeleuchtet und ist so eindeutig von den Lebenden zu unterscheiden. Als Willie Lopez vor ein Auto rennt, rasen grelle Scheinwerfer frontal auf die Zuschauer zu. Nur eine Sekunde lang blinzelt das geblendete Publikum, schon hat sich Sams Mörder verdoppelt: Sein toter Körper liegt vor dem Auto, während sein Geist von den „anderen" geholt wird. Vielleicht ein wenig klischeehaft, diese schwarz gekleideten Männer, die ihn ohne viel Federlesens wegzerren, während die Seelen der anständigen Leute von hell leuchtenden Lichtpunkten ins Jenseits geleitet werden – aber wer sich von der Magie des Stücks anstecken lässt, stört sich daran nicht.

Dem Kreativteam gelingt es, die Zwischenwelt so eng mit der realen Handlungsebene zu verzahnen, dass beide zu einer Einheit verschmelzen. Wenn feine weiße Lichtstrahlen einen Regenschauer simulieren, Molly mit nasser Jacke die Tür aufschließt, Sam ihr durch die geschlossene Tür folgt und sich die berühmte „Töpferszene" anschließt, erlebt man Gänsehautmomente, die so wohl nur im Theater möglich sind.

In Hannah Grover als Molly und John Addison als Sam hat man das ideale Paar gefunden. Vom ersten Moment an nimmt man beiden die große Liebe ab, so natürlich wirken die scherzhaften Neckereien, liebevollen Blicke und sanften Berührungen. Die (mal wieder) aufkommende Diskussion um die nicht ausgesprochene Liebeserklärung beendet Sam mit Akustikgitarre, gespielt kokettem Elvis-Hüftschwung und der „Unchained Melody". „It won't work" meint Molly, aber selbstverständlich verfehlen Sams Verführungskünste ihre Wirkung nicht.

ghost06Hannah Grover lässt keinen Zweifel daran, dass Mollys Welt nach Sams Tod zusammenbricht. Bei „With you" legt sie fast beängstigend real abgrundtiefe Trauer und Schmerz in ihre Stimme, die mal leise verzweifelt fast bricht, um sich dann wieder laut klagend zu einem raumfüllenden Crescendo zu verstärken. Bemerkenswert, dass ihr Mezzosopran stets klar und rein bleibt. Untermalt mit herzzerreißender Mimik und Tränen in den Augen, schafft Hannah Grover eine emotionale Sternstunde. In den Duetten mit John Addison entwickelt sich immense Dynamik, die Stimmen ergänzen sich in perfekter Harmonie.

Bruchstücke aus „Here right now" tauchen immer wieder als Reprise auf, teils auch von wechselnden Charakteren gesungen. Bevor es zu rührselig wird, unterbrechen amüsante Szenen die gefühlvollen Sequenzen. Eine kluge Regieführung, denn so vermeidet Regisseur Adam Penford, dass „Ghost" ins Kitschige abrutscht.

Als Sam Wheat zieht John Addison alle Register. Samtweich intoniert er die Balladen, herrlich unmelodisch und überlaut nervt er Oda Mae mit „99 Bottles of Beer on the Wall". Selbstverständlich setzt er auch bei ihr seinen Willen durch und sie hilft ihm, mit Molly zu kommunizieren. Addisons enormes Stimmvolumen zeigt sich bei „I had a Life", er überzeugt mit wunderschöner Stimmfarbe und lang gehaltenen Tönen.

Schauspielerisch hervorragend arbeitet er die unterschiedlichen Gefühle heraus, die Sam durchlebt: Fassungsloser Schrecken spiegelt sich auf seinem Gesicht, als er langsam die neue Situation erkennt, verzweifelt streckt er im hilflosen Versuch, Molly zu trösten, die Arme nach ihr aus. Auch mit der komödiantischen Seite der Rolle gefällt John Addison, bei den ironisch-frechen Dialogen mit Oda Mae sitzt jede Pointe.

Claudia Kariuki brilliert in der Rolle der zwar betrügerischen, aber eigentlich gutherzigen Wahrsagerin Oda Mae Brown. Einfach umwerfend, wie sie entsetzt die Augen aufreißt, als sie tatsächlich einmal einen Geist sprechen hört. Zum Brüllen komisch ihre Tanzeinlagen und ihr Auftritt in der Bank: Im schrillen Outfit („What's wrong with my dress?") schmückt sie die von Sam vorgegebenen Sätze derart blumig aus, dass dem zur Untätigkeit verdammten Geist buchstäblich der Schweiß auf der Stirn steht. Auch gesanglich lässt Kariukis Interpretation keine Wünsche offen. Ihre Stimme ist purer Soul, „I'm outta here" kann man besser wohl kaum singen.

ghost09Die Rolle des Bösewichts Carl Bruner übernimmt Aaron Sidwell. Dass Sam bei dem von Carl angezettelten Überfall stirbt, war nicht beabsichtigt. Der Grund für seine Panik ist aber nicht etwa der Tod seines Freundes, sondern viel mehr die Angst, seine illegalen Geldwäschereien könnten auffliegen. Sidwell gibt den gewissenlosen Banker im Businessanzug mit eiskalter Miene und leicht gepresster Stimme, was zum Rollencharakter hervorragend passt.

Ein extrem hohes schauspielerisches Niveau und eine absolut deutliche Aussprache zeichnet alle Akteure aus. Von klangschönen Stimmen wie Jonathan Bourne als Hospital Ghost oder Biancha Szynals herrlich überzogenen Schauspiel als Mrs. Santiago hätte man gerne noch mehr gehört und gesehen.

Auch mit wenig Englischkenntnissen kann man der Handlung mühelos folgen. Hieran hat auch die einwandfreie Tonqualität (Stephan Weber und Max Pappenheim) ihren Anteil. Sogar Szenen, in denen gesprochener Dialog und Gesang parallel laufen, bleiben klangrein und sauber. Die musikalischen Leiter (abwechselnd Ralph Abelein und Stephan Ohm) führen das hörbar spielfreudige Orchester sicher durch die vielseitige Partitur und sorgen dafür, dass „Ghost" auch musikalisch zu großartigen Erlebnis wird.

Wer noch nicht dort war, sollte sich schnellstens um eines der wenigen noch erhältlichen Tickets bemühen. „Ghost – The Musical" ist Musiktheater auf höchstem Niveau. Oder, um es anders auszudrücken: Ganz großes Kino!

Text: Sylke Wohlschiess

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Interview mit "Ghost"-Hauptdarsteller John Addison, März 2015


... und hier noch einige Szenenfotos aus "Ghost":

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