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Interview mit John Addison:
Ich glaube an die Liebe

Nach seiner Ausbildung am Royal Northern College of Music und an der Royal Academy of Music stand John Addison in vielen ganz unterschiedlichen Rollen auf der Bühne. Vom Londoner West End kam er nach Frankfurt ans English Theatre. Dort spielt er noch bis Ende März den Sam in der „Ghost"-Deutschlandpremiere. Wie es sich anfühlt, auf der Bühne unsichtbar zu sein, warum er sich freut, wenn das Publikum weint und ob er an Zwischenwelten glaubt, verrät er im ausführlichen Interview.

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Als der Film "Ghost" 1990 in die Kinos kam, waren Sie wahrscheinlich noch gar nicht geboren...
Oh doch (lacht). Ich muss so acht oder neun Jahre alt gewesen sein. Aber so einige der Kollegen hier waren noch nicht auf der Welt. Mit meinen 33 Jahren bin ich sogar der Älteste hier in der Cast.

Kannten Sie den Film vor dem Casting für das Musical?

Ja, klar, ich kannte den Film, in England ist er in meiner Generation sehr populär. „Ghost" ist ein Film, den man einfach anschaut. Er läuft auch öfter mal im Fernsehen, vermutlich habe ich ihn da schon gesehen, als ich jünger war. Ich habe auch das Musical in London besucht. Aber als das Casting aufkam und auch, als ich die Zusage bekam, habe ich ganz bewusst entschieden, mir den Film nicht erneut anzusehen. Das habe ich erst wieder getan, als wir einen kompletten Probendurchlauf hinter uns hatten, um zu überprüfen, ob ich in meiner Darstellung noch etwas ergänzen muss, ob ich vielleicht etwas vergessen hatte. Natürlich wollte ich Sam so weit wie irgendwie möglich zu meiner Rolle machen. Man kann eine Ikone wie Patrick Swayze nicht nachahmen. Aber ich wollte sicherstellen, dass ich nicht zu weit weg bin, damit die Leute, die den Film lieben, auch beim Musical diese besondere Stimmung fühlen, dass sie auch Gänsehaut bekommen, wenn die Show live direkt vor ihnen abläuft. Andererseits sollten diejenigen, für die die Geschichte neu ist, auch etwas sehen, das ich geschaffen hatte.

Sie erwähnen Patrick Swayze. Ist es eine besondere Herausforderung, eine Rolle zu spielen, die man so sehr mit einem anderen Künstler verbindet?
Ja, es ist wirklich schwierig. Patrick Swayze ist Sam. Er ist einfach brillant, jeder liebt ihn in dieser Rolle, er hat dafür ja auch eine Golden Globe Nominierung als bester Schauspieler bekommen. „Ghost" ist ein Kultfilm und durch seinen allzu frühen Tod wurde Patrick Swayze noch mehr zur Ikone. Genau deshalb habe ich ja den Film im Vorfeld nicht mehr angeschaut, ich wollte auf gar keinen Fall sein Schauspiel in dieser Rolle neu erfinden. Das kann man gar nicht. Er ist so großartig. Ich musste und wollte etwas eigenes daraus machen. Mir war nur wichtig, dass ich in meiner Interpretation auch an alles gedacht und nicht etwas außer Acht gelassen hatte, das – nun, vielleicht die Show nicht gerade schlechter machen – aber das man einfach vermissen würde. Es ist auch ein Unterschied, ob man in einem Film oder einem Musical spielt. Auch die Kollegen sind wichtig. Unserem Regisseur, Adam Penford, ist es gelungen, ein großartiges Ensemble zusammenzubringen. Von Molly bis zum U-Bahn-Geist oder zum Minister, jeder ist wirklich klasse. Alle bringen eine tolle Leistung und die Chemie untereinander stimmt hunderprozentig.

Sie und Hannah Grover wirken als verliebtes Paar sehr authentisch. Wurden Sie gemeinsam gecastet?
Hannah stand als Molly schon fest. Das Castingteam war aber immer noch auf der Suche nach Sam. Zuerst konnten sie niemanden finden. Mein Name stand auf der Auditionliste, es hatte mich wohl auch jemand empfohlen. Als ich aufgerufen wurde, betrat ich den Raum. Hannah war auch da, ich habe meinen Part mit ihr als Gegenüber gelesen. Ich glaube, ich war an diesem Morgen der erste, der vorgesprochen hat, sie hörten also im Lauf des Tages noch viele andere Kandidaten. Naja, ich sagte mir, dass ich mir lieber nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen sollte, ob es nun klappt oder nicht. Daumen drücken, aber es fürs Erste lieber gedanklich abhaken. Und dann – kam der Anruf. Ich war am Samstagmorgen beim Casting und am Montagmorgen riefen sie mich an und fragten, ob ich Sam spielen möchte. Das ging echt schnell. Es ist schon komisch: Manchmal, da wartest du acht Wochen auf eine Rückmeldung und jetzt ging es so schnell. Ich hatte schon das Gefühl, dass Hannah und ich gut harmoniert haben und ein prima Team sein könnten, aber man weiß ja nie. Offensichtlich hat aber auch der Regisseur in unserem Zusammenspiel etwas gesehen, das ihn überzeugt hat. Die richtige Chemie zwischen Molly und Sam ist immens wichtig, um die Liebe zwischen den beiden glaubhaft zu vermitteln. Ich hoffe wirklich, das kommt auf der Bühne rüber. Als Sam bin ich ja nur die ersten 20 Minuten der Vorstellung am Leben. Mehr Zeit ist nicht, um das Publikum davon zu überzeugen, dass diese beiden so verliebt sind, dass Molly einfach nicht in der Lage ist, alleine weiterzuleben, dass sie vollkommen untröstlich ist, als Sam so plötzlich von ihr gerissen wird. Das ist ja der Grund, warum Sam nicht in den Himmel oder wohin auch immer weitergehen kann. Er steckt irgendwie zwischen den Welten fest. Er muss zuerst alles versuchen, um sicherzustellen, dass es Molly gut geht, bevor er weitergehen kann, zu welchen spirituellen Ort auch immer.

Glauben Sie, dass ein solcher Ort existiert?
Ich persönlich glaube an Spiritualität, an eine geistige Existenz. Ich bin davon überzeugt, dass es eine Macht gibt, die größer ist als wir. Ich glaube an die Liebe. An die Liebe zu anderen menschlichen Wesen und zur Menschheit, an die Liebe zu Tieren, Bäumen, zur Natur und so weiter. Ich denke, irgendwie sind alle Dinge miteinander verbunden. Man kann dies Gott nennen oder wie auch immer. Ich persönlich glaube nicht an Gott im üblichen Sinn, aber ich habe einen Glauben an etwas da draußen, das alles verbindet. Und im Moment, so wie ich hier sitze, ist das einfach diese Verbundenheit mit der Natur, den Mitmenschen und der Menschheit. Aber darüber könnte man tagelang diskutieren, oder?

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Das stimmt. Lassen Sie uns zum Musical zurückkehren. Was macht es besonders interessant, Sam Wheat zu spielen?
Naja, er lebt nicht mehr. Bis zu seiner Ermordung passiert doch gar nicht viel. Er ist ein total netter, charmanter Typ, und wäre er nicht umgebracht worden, wäre es wohl ziemlich langweilig gewesen, sein ganzes Leben auf der Bühne durchzuspielen. Es lief ja alles perfekt, er hat den perfekten Job, die perfekte Frau – naja, bis auf die Tatsache, dass sie ständig hören will, dass er sie liebt. Aber so im Großen und Ganzen konnte es ja besser gar nicht sein. Erst als er stirbt, wird es richtig spannend, sein Charakter wird vielschichtiger. Er spürt Ärger und Wut, er befindet sich auf völlig unbekanntem Terrain, er hat keine Ahnung, was er tun soll. Er hat Angst. Und gleichzeitig ein brennendes Verlangen, Molly wiederzusehen. Diese ganzen unterschiedlichen Gefühle beginnen, in ihm zu brodeln. Molly ist in Gefahr, er muss herausfinden, worum es eigentlich geht, er erkennt, dass er nicht zufällig ermordet wurde. Es steht so viel mehr auf dem Spiel – und erst da geht es richtig los. Jemanden zu spielen, der tot ist, hat aber noch einen anderen Aspekt. Niemand kann mich sehen, und außer Oda Mae kann mich auch niemand hören. Ich kann also auf der Bühne mit niemandem interagieren. Für mich als Schauspieler ist gerade das wirklich interessant und auch gar nicht so leicht umzusetzen. Es ist eine einsame Rolle. Wenn ich das Wort an jemanden richte, bekomme ich nichts zurück, denn bis Oda Mae auftaucht, kann mich ja keiner hören. Normalerweise ist man auf der Bühne in Interaktion mit den Kollegen, man reagiert aufeinander, auf das, was jemand sagt oder tut. Aber wenn ich irgendetwas sage, reagiert niemand.

Wird es dadurch anstrengender, nicht in Routine zu verfallen?
Nein, nicht bei dieser Show. Ich liebe diese Rolle so sehr, jeder Tag ist anders, die Reaktionen des Publikums unterscheiden sich, ich kann wirklich in jedem Tag etwas Neues entdecken. Aber ja, eine besondere Herausforderung ist es trotzdem, auf der Bühne auch ohne die Reaktionen der Kollegen das eigene Spiel immer frisch zu halten. Für die anderen ist es aber auch schwierig: Sie dürfen mich nie direkt anschauen. Auch, wenn ich direkt vor ihrer Nase stehe, müssen sie durch mich hindurchsehen. In Wirklichkeit stehe ich da, aber als Sam bin ich unsichtbar. Es hat bei den Proben ziemlich viel Zeit gebraucht, bis alle aufgehört haben, mich anzuschauen. Es ist einfach total ungewohnt. Eigentlich wendet man sich automatisch immer demjenigen zu, mit dem man in einer Szene spricht, das ist ja völlig normal. Nun musste das also ganz anders laufen. Und immer wieder rief bei den Proben wieder jemand ganz perplex „das gibt's nicht, ich hab' ihn schon wieder angeschaut". Also, für alle war es schwierig, nur auf unterschiedliche Weise.

Was ist für Sie die schwierigste Szene?
Physisch am anstrengendsten ist die zweite U-Bahn-Szene. Sam sucht diesen U-Bahn-Geist, damit er ihm beibringt, Gegenstände zu bewegen. Dieser schubst mich herum, ich falle immer wieder hin, stehe wieder auf, falle hin, taumle von einer Seite zur anderen. Aber jede Szene ist auf eine spezielle Weise emotional anstrengend. Am Anfang, wenn ich getötet werde und Sams Körper - also meinen Körper – am Boden liegen sehe, das ist - das kann man gar nicht richtig beschreiben. Jede Nacht ermordet zu werden, ist schon brutal. Und dieser ganze erste Akt, für mich besteht er nicht aus einzelnen Szenen, sondern die Übergänge sind fließend. Ich bin oft schon auf der Bühne, wenn die nächste Szene beginnt. Nur, für mich fühlt sich das gar nicht wie eine neue Szene an, sondern wie die Fortsetzung meiner Reise. Von Beginn der Show bis zum Ende von Oda Maes erstem Solo stehe ich fast durchgehend auf der Bühne, für mich ist das alles im Prinzip also eine einzige Szene. Das ist eine sehr lange Phase, während der ich immer ganz konzentriert bleiben muss. Ab und zu bin ich mal für eine Sekunde off, aber dann auch sofort wieder da. Ich habe keine Zeit, wieder John zu werden und ein bisschen runterzukommen, ich bin die ganze Zeit über Sam. Erst wenn Molly „With you" singt, habe ich eine Pause.

Das ist ein sehr emotionales Lied, da fließen im Publikum auch schon mal Tränen.
Echt jetzt? Das ist wunderbar.

Finden Sie?
Ja, klar (lacht).

Kriegt man das überhaupt mit?
Nein, sehen kann man nichts. Aber manchmal kann man die Zuschauerreaktionen schon hören, das kommt immer darauf an. Manchmal ist das Publikum eher leise und erst am Ende flippen sie so richtig aus, dann wieder gibt es auch zwischendurch schon viel Szenenapplaus. Wenn die Show vorbei ist, bekommen wir sehr oft Standing Ovations, also denke ich, dass wir es schaffen, die Menschen emotional zu berühren. Und genau das möchten wir. Es ist für mich und auch für uns als Ensemble wichtig, dass die Leute die Vorstellung genießen. Als Künstler möchte man sein Publikum bewegen, man möchte, dass die Menschen etwas empfinden. Ich wünsche mir, dass die Leute rausgehen und ganz ergriffen sind, weil sie sich an ihre Familie erinnert fühlen, an Freunde, den Ehemann. Oder sie fanden es total grässlich. Aber sogar wenn sie es gar nicht mochten, entstand ja doch eine gewisse Verbindung. Natürlich ist es mir viel lieber, wenn die Leute etwas Positives aus der Show in ihren Alltag mitnehmen und ich glaube, bei „Ghost" ist das auch der Fall. Nur, wenn das Publikum das Theater verlässt und womöglich teilnahmslos meint, es sei „schon ganz nett" gewesen – das wäre das Schlimmste für mich. Ich freue mich auch, wenn ich angesprochen werde. Erst heute wieder, als ich in der Skyline Plaza unterwegs war, kamen ein paar Leute auf mich zu und erzählten, wie sehr ihnen die Show gefallen hat. Es ist so schön, das zu wissen.

addison01Offensichtlich braucht es gar nicht viel Technik, damit man mit "Ghost" die Menschen bewegt, oder?
In London wurde extrem viel Technik eingesetzt, es gab haufenweise Projektionen. Ich denke, der Etat dort war höher, der technische Aufwand war sehr groß. Hier am English Theatre in Frankfurt ist das Budget niedriger, also mussten clevere, kreative Lösungen her. Und weil das Theater ja auch viel kleiner ist, mussten wir der Geschichte außerdem einen intimeren Rahmen geben. Der Fokus liegt auf der Handlung, die technischen Tricks kommen erst in zweiter Linie.

Unterscheidet sich die Arbeit an einem deutschen Theater grundsätzlich von der Arbeit am West End?
Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Die Theater am West End sind größer, also haben sie dort in der Regel auch größere Etats. Aber wenn die Show erst einmal auf die Beine gestellt ist und alles rundläuft, dann gibt es keine gravierenden Unterschiede. Ein Theater ist ein Theater. Hier am English Theatre spricht natürlich auch jeder englisch, viele Künstler und Regisseure kommen immer wieder, man stößt dazu und fühlt sich sofort wohl. Jeder hier macht einen tollen Job und alle kümmern sich echt gut um uns. So gibt es eigentlich kaum Unterschiede, außer natürlich, dass deutsch gesprochen wird, wenn man das Theater verlässt. Es ist manchmal nicht ganz einfach, in einem anderen Land zu sein, weit weg von Freunden und Familie. Aber das Team tut alles, damit wir hier eine großartige Zeit zusammen erleben.

Könnten Sie sich vorstellen, auch in einer deutschen Produktion zu spielen?
Auf jeden Fall, ich würde mein Bestes geben und hart arbeiten, damit ich die Betonung richtig hinkriege. Ein Freund von mir, Simon Thomas, spielte Tarzan in Hamburg. Ich habe ihn damals gefragt, wie das so war. Und er meinte, am mühsamsten war es gar nicht, deutsch zu sprechen; das ging ganz gut. Kompliziert wurde es nur, wenn Kollegen mal ihren Text vergessen haben oder einfach durcheinander kamen. Deutsch war ja nicht seine Muttersprache, er konnte also nicht von den Lippen ablesen und hing dann natürlich. Aber ja, auf jeden Fall wäre es interessant, hier zu arbeiten. Sehr interessant. Mir gefällt es hier ausgesprochen gut.

Welche Rollen oder welche Art von Musicals liegen Ihnen am meisten?
Ich mag es, diese aufrechten, anständigen jungen männlichen Hauptrollen zu spielen, obwohl die Charakterrollen ja oft fast noch spannender sind. Beispielsweise habe ich am Englischen Theater in Wien den Max in der Komödie „Lend me a Tenor" gespielt, einen Typen, der eher albern daherkommt. Gleich nach dem College war ich bei „Les Misérables" dabei, „Phantom der Oper" habe ich auch gemacht – das sind ja nun eher traurige Stücke. „A litte Night Music" von Stephen Sondheim ging mehr in Richtung lustige Unterhaltung, „Sweeney Todd" vom selben Komponisten war dann wieder düster. Ich habe viele ganz unterschiedliche Rollen gespielt und bin auch für alles offen. Irgendwie mag ich immer das am liebsten, was ich in dem Moment mache.

Wissen Sie schon, was nach "Ghost" kommt?
Nein, noch nicht. "Ghost" läuft ja noch bis Ende März. Da wir fast jeden Tag spielen, ist es momentan natürlich auch ziemlich schwierig, in England zu Auditions zu gehen. Außerdem ist die Show wirklich kräftezehrend. Sie fordert mir jeden Tag viel ab, auch mental. Manchmal ist mir, als sei ich ständig müde. Die Energiereserven müssen nach „Ghost" erst wieder aufgeladen werden, ich werde sicher erst einmal ein paar Wochen Pause machen. Es stehen in England ein paar Konzerte an, auf die ich mich sehr freue. Und dann sehe ich einfach, was auf mich zukommt.

Interview: Sylke Wohlschiess

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