Interview mit Arvid Larsen:
"Ich verinnerliche Dinge, um sie glaubhaft darzustellen."
Arvid Larsen spielte Hauptrollen am Londoner West End und in Tourproduktionen von Andrew Lloyd Webbers Really Useful Group. Bei "Rebecca" in Stuttgart stand er als alternierender Maxim de Winter auf der Bühne. Kurz vor Ende der Spielzeit hatten wir Gelegenheit, den gebürtigen Norweger, der seit vielen Jahren in London lebt, zu einem ausführlichen Interview zu treffen.
Wie kam es zu Ihrem Engagement bei "Rebecca" in Deutschland?
Ich bin für unterschiedliche Produktionen schon seit elf Jahren mit Stage Entertainment in Kontakt, aber bisher sind wir nie zusammengekommen. Immer wurden mir gleichzeitig andere Rollen angeboten, so dass es einfach nie geklappt hat. Aber Maxim de Winter zu spielen, war eine Aufgabe, die mich interessierte. Und auch der Zeitpunkt hat endlich gepasst.
Wenn man Ihre bisherigen Rollen betrachtet, erstaunt es, dass man Sie "nur" als alternierende Besetzung sieht.
Als ich zum Casting nach Hamburg ging, waren alle Verträge für das ganze Jahr schon unterzeichnet, deshalb stand die Erstbesetzung für mich gar nicht zur Debatte. Ich glaube nicht einmal, dass die Verantwortlichen zu dem Zeitpunkt sicher waren, ob sie noch einen alternierenden Maxim unter Vertrag nehmen würden. Aber Thomas Borchert hatte viele andere Verpflichtungen, Konzerte und so weiter, also wurde dann doch dafür entschieden. Das war so ziemlich in letzter Minute. Ungefähr drei Wochen bevor es losging, war ich erst beim Casting.
Wie würden Sie Maxim de Winter beschreiben?
Von dem Moment an, als er sich in Rebecca verliebt hat, musste er mit vielen Geheimnissen leben. Er dachte, sein Leben hätte eine bestimmte Richtung eingeschlagen, dann ist alles um ihn herum zusammengebrochen. All diese Lügen, mit denen er so lange Zeit leben musste. Offensichtlich war das letzte Jahr das schlimmste. Ich kann jetzt nicht so ins Detail gehen, falls jemand die Show nicht gesehen hat, aber er stand unter unglaublichem Druck. Das ist, als stünde man ständig kurz vor dem Explodieren – du bist fortwährend auf der Hut, du passt immer genau auf, was du sagst, du hast ständig Angst, dass die Fassade Risse bekommen könnte. Seine Ehe war eine Farce, sie hat ihn nicht geliebt – all das eben. Und dann trifft er diese Frau, dieses Mädchen, die ihn irgendwie verändert. Er sieht in ihr etwas, das es für ihn seit vielen Jahren nicht gegeben hat, etwas, das zwischen ihm und Rebecca nicht existierte. Und auch sonst… Er hat ein ganz freundschaftliches Verhältnis zu seiner Schwester, aber er hat nicht viele Freunde. Ich finde das schon ziemlich traurig: Frank, der für ihn arbeitet, ist sein bester Freund. Sie stehen sich sicher nah, aber sie sind eben nicht gleichgestellt. Er hat keine Freundschaften wie andere Menschen. Ganz offensichtlich lässt er keinen an sich heran.
Sie meinen, er ist ziemlich einsam?
Ja. Ich glaube, er ist sehr einsam. Und dann trifft er dieses junge Mädchen, die einfach ist, wie sie ist. Außerdem bewegt sie sich völlig außerhalb seiner üblichen Kreise. Er ist umgeben von einem Haufen Leute, die mit viel Geld umgehen, es ist unglaublich wichtig, wie man sich benimmt – da wird sich ja fast prostituiert. Dieses Mädchen aber ist, wie sie ist. Sie verfolgt keine eigenen Ziele, sie verbirgt nichts. Und ihm wird klar, was er eigentlich tut. Er ändert sich durch sie. Natürlich bleibt die Frage offen, ob er den Geistern der Vergangenheit entkommen kann, ob sie stark genug ist, sich dem zu stellen oder ob alles erneut um ihn herum kollabiert, weil er nicht ehrlich zu ihr sein kann. Im Verlauf der Geschichte sehen wir, dass er sich tatsächlich verändert. Der Kessel explodiert und alles kommt ans Licht. Dann tauschen sie irgendwie die Rollen. Sie kümmert sich um ihn und führt ihn den Weg, den er gehen muss. Man kann das auf der Bühne sogar sehen: Nach seinem Geständnis ist es immer sie, die ihn von der Bühne führt. Außerdem manipuliert sie ja auch ein bisschen: Als er vor Gericht zu viel abkriegt, fällt sie in Ohnmacht. Diese Veränderung wird in der Schlussszene auch visualisiert. Die Regisseurin wollte ganz bewusst nicht, dass "Ich" sich an mich lehnt, sondern dass wir beide aufrecht stehen und nach vorne schauen, als zwei Persönlichkeiten, die zusammen sind. Aber keiner steht über dem anderen, wir sind gleichgestellt.
Glaubt Maxim de Winter von Anfang an, dass seine neue Frau ihm helfen kann?
Ich weiß nicht, ob er glaubt, dass sie ihm tatsächlich helfen kann. Aber ich denke, er hofft es. Ganz besonders, wenn sie sich fern von Manderley aufhalten, fernab von all jenen Geistern der Vergangenheit. Ich glaube, an diesem Punkt ist er tatsächlich der Meinung, dass sie diejenige ist, die ihm helfen kann. Aber sie gehen ja zurück.
Halten Sie ihn für aggressiv?
Ja. Ich glaube, der Grund dafür ist der immense innere Druck, unter dem er steht. Gleichzeitig muss er nach außen hin für alle auf eine ganz bestimmte Art und Weise funktionieren. Er muss so viele Dinge vertuschen, und sobald jemand daran rührt… Weil "Ich" so nah an ihn herankommt, bleibt es ja nicht aus, dass sie früher oder später irgendetwas sagt, das er fehlinterpretiert. Er flippt ständig aus, weil er wirklich jedes Wort falsch auslegt. Er fühlt sich angegriffen, fragt sich, warum sie über all diese Dinge spricht. Er ist nicht in der Lage, die Situation aus ihrer Sicht zu betrachten.Wäre er dazu fähig, hätte er sie ja verstanden. Ich meine, das ist natürlich schwierig, für jeden von uns. Deshalb kommt es ja überhaupt erst zu Missverständnissen. Es ist sehr menschlich, etwas auf eine bestimmte Art und Weise auszulegen, obwohl es doch ganz anders gemeint war, einfach nur, weil wir uns nicht in das Gegenüber hineinversetzen können. Maxim geht es genauso. Sobald "Ich" nur beiläufig etwas erwähnt, das Bezug zur Vergangenheit hat, denkt er sofort, dass irgendjemand irgendetwas gesagt hat. Er ist immer in Alarmbereitschaft. Er beobachtet ständig, ob ihn jemand durchschaut haben könnte, ob jemand sein Geheimnis kennt. Wenn man mit einem Geheimnis lebt – besonders wenn es eines ist, wie das, mit dem er sich seit einem Jahr quält - würde wohl jeder ein klein wenig paranoid werden und in Panik verfallen.
Buch, Film und Musical unterscheiden sich in einer wichtigen Szene. Wie sehen Sie es: Hat Maxim Rebecca umgebracht?
Nun, ich glaube, in diesem Moment wollte er sie töten. Ja. Im Buch erschießt er sie. Ich mag diese Version lieber, weil es da sozusagen ein todsicherer Selbstmord ist. Wenn dir jemand mit einer Pistole in der Hand gegenübersteht und du ihn immer mehr reizt - immer mehr und mehr – dann machst du das, weil du willst, dass er dich erschießt. Es ist auch ziemlich schwierig, jemanden so wegzustoßen, dass derjenige auf den Kopf fällt und stirbt. Ich glaube, es funktioniert auf beide Arten. Soweit ich weiß, hat man die Szene ursprünglich für den Film geändert. 1942 konnte man nicht einfach den Hauptdarsteller kaltblütig jemanden ermorden lassen. Deshalb wurde die Version mit dem Stoß erfunden. Er hat sie weggestoßen, war also kein Mörder. Die Musicalversion hat ein bisschen was von beiden Möglichkeiten. Aber egal, ob es jetzt ein Unfall oder Mord war – er hat das Boot versenkt. Sie hatte keine Chance zu fliehen. Maxim ist ja kein Arzt, er konnte nicht hunderprozentig sicher sein, ob sie nun tatsächlich tot war oder nicht. Das war den Autoren sehr wichtig, dass er das Boot absichtlich versenkt hat. Also, auch wenn der Stoß noch ein Unfall war, beim Rest ging er dann schon auf Nummer sicher: Er hat das Blut aufgewischt, Rebecca auf das Boot getragen und dafür gesorgt, dass es auch wirklich sinkt.
Wie setzen Sie das alles auf der Bühne um?
Ich versuche immer, mich von der Situation führen zu lassen, bei jeder Show, die ich spiele. Für mich als Schauspieler ist es das Allerwichtigste, dass mir das alles zum ersten Mal passiert. Jeden Abend. Dabei ist vollkommen egal, wie oft ich die Rolle schon gespielt habe. Du kannst niemals voraussehen, was als nächstes passiert. Wenn ich die Bühne betrete, versuche ich, nicht vorauszudenken. Ich denke nicht darüber nach, was ich gleich tun werde und wie ich es tun werde. Ich bin einfach nur da, in der Situation, und versuche, alles geschehen zu lassen.
Aber wie schaffen Sie das jeden Abend aufs Neue?
Ich weiß es nicht. Es gibt zudem einen Unterschied zwischen Film und Theater. Bei Film- oder Fernsehaufnahmen muss man alles nur einmal machen. Manchmal hat man nicht einmal das Drehbuch bis zum Ende gelesen. Es gibt Drehbuchautoren, die dir nicht gleich das ganze Skript geben, weil sie nicht wollen, dass du weißt, was als nächstes passiert. Irgendwann bekommst du es dann und musst spielen. Das ist eine ganz andere Art zu arbeiten. Im Gegensatz dazu ist die größte Herausforderung im Theater, jeden Abend das Stück wieder neu rüberzubringen und niemals vorweg zu nehmen, was geschehen wird. Manche Schauspieler mögen es, Charaktere darzustellen und in diese einzutauchen, wenn sie auf der Bühne stehen. Ich denke darüber nicht nach. Ich stelle mir die Situation vor, in der sich die Person befindet. Natürlich ist da trotzdem der Bühnencharakter, du bewegst dich ein bisschen anders, du bist anders, du tust die Dinge auf andere Weise. Wenn du also die Situation spielst, die Geschichte, das, was im Moment passiert – dann spielt es sich von selbst. Irgendwie. Jedenfalls für mich. Es passiert einfach.
Sie denken also nicht über den Charakter nach, den Sie darstellen, sondern agieren.
Genau. Ich agiere und reagiere. Ich höre auf das, was gesprochen wird. Denn ich weiß ja nicht, was die eine oder andere Person gleich sagen wird. Also, natürlich weiß ich es (lacht). Aber jedesmal versuche ich, so zuzuhören, als wäre es das erste Mal. Immer wieder. So, als wäre es real. Denn ich glaube, so muss Schauspiel sein. Das bewegt die Menschen. Sie möchten etwas sehen, das zum ersten Mal geschieht. Und sie möchten jemanden sehen, der Emotionen durchlebt. Ich spiele sehr gerne in Long-runs, weil sich da die Dinge auch über einen längeren Zeitraumganz natürlich entwickeln. Plötzlich nimmst du etwas ein bisschen anders wahr, jemand hat etwas ein bisschen anders gesagt, dann wird an diesem Abend deine Reaktion auch ein klein wenig anders sein. Es geht darum, auf der Bühne im Spiel offen zu bleiben. Judi Dench hat einmal gesagt, dass es ziemlich leicht ist, sie auf der Bühne zum Lachen zu bringen. Sie sagte, daran erkennt man einen guten Schauspieler. Es geht darum, immer empfänglich zu bleiben für was-auch-immer dein Gegenüber dir gibt. Wenn jemand etwas Lustiges macht, lachst du. Wenn du dich aber nur darauf konzentrierst, in deiner Rolle zu sein und nicht wirklich mitkriegst, was passiert, dann pflügst du dich so durch. Zwar kann dich nichts durcheinanderbringen, aber du hast nicht richtig zugehört und letztlich nicht mitgekriegt, was passiert. Diese Meinung teile ich absolut. Ich bin davon überzeugt, dass es darum geht, offen für alles zu sein, was du auf der Bühne bekommst und was in den Beziehungen der handelnden Personen passiert. Das ist das Wichtigste und hier, mit "all meinen Mädels" auch ganz leicht. Pia Douwes ist fantastisch. Leider habe ich nicht viele gemeinsame Szenen mit ihr. Auch das Spiel mit Valerie Link ist sehr angenehm, denn sie spielt sehr natürlich.
Ihre Darstellung des Maxim de Winter unterscheidet sich von der Ihrer Kollegen. Gab es keine Vorgaben, die in engen Grenzen für alle galten?
Nein, diesen Eindruck habe ich nicht. Natürlich gab es Regieanweisungen und manchmal war mehr dieses oder mehr jenes gefragt. Aber ich habe mich während des gesamten Prozesses sehr frei gefühlt. Außerdem kann ich ja auch nur auf meine Art und Weise spielen. Ich kann niemanden kopieren oder versuchen, jemand anderes zu sein. Natürlich sieht man manchmal Kleinigkeiten bei Kollegen, die man vielleicht auch für die eigene Interpretation nutzen kann, aber ich versuche nicht, etwas nachzuahmen. Meine Art etwas darzustellen, kommt mehr von innen. Ich versuche, alles aus meinem Inneren heraus entstehen zu lassen und nichts aufzusetzen. Was jetzt nicht heißen soll, dass andere dies tun. Manchmal spiele ich eher etwas zu verhalten, dann kommt vielleicht nicht alles rüber, eben weil ich innerlich so vertieft bin. Ich muss also ab und zu ein bisschen mehr aufmachen. Ich kenne das von früheren Produktionen: Ich verinnerliche die Dinge, um sie glaubhaft darzustellen. Wenn da nur 20 Leute sitzen, ist das ok. Aber das hier ist eine große Bühne, da muss man ab und zu auch etwas "größer" spielen. Gerade diese Rolle hat ja auch eine unglaubliche Bandbreite. Es gibt so viele Ebenen, Maxim reagiert so unterschiedlich, sein ganzes Handeln ist so vielschichtig. Dieser Charakter ist hervorragend ausgearbeitet. Es ist unglaublich spannend, wie alles beginnt, wie es zum totalen Zusammenbruch kommt und wie er jede Emotion durchlebt. Genau das will man doch als Schauspieler. Deshalb liebe ich es, Maxim de Winter zu spielen.
Interview: Sylke Wohlschiess
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