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Unscheinbare Pflanze:
Rezension „Der kleine Horrorladen“ in Stuttgart

Sind die Pflanzen in Ordnung? Wenn man aus der wohlig-behaglichen Atmosphäre im Stuttgarter Theater der Altstadt zurück im heimischen Wohnzimmer ist, fühlt man sich fast versucht, den Zustand des eigenen grünen Zimmerschmucks kritisch zu prüfen – nicht, dass es noch Entartungen á la „Der kleine Horrorladen" gibt und die Grünlilie plötzlich wie Audrey Zwo ein beängstigendes Eigenleben entwickelt.

Denn Audrey Zwo hat es in sich: Nicht etwa Wasser und Dünger braucht sie für ihr Wohlbefinden, sondern Blut. Das exotisch-seltsame Gewächs lockt Schaulustige und so auch endlich wieder Kunden in Mr. Mushniks kurz vor der Pleite stehenden Blumenladen in der heruntergekommenen Skid Row. Ihr Züchter, der unbeholfene Angestellte Seymour Krelborn, avanciert zum Medienstar. Nur zufällig kommt er hinter das Geheimnis seiner Pflanze. Auch als er selbst als Nahrungsquelle nicht mehr ausreicht, sondern Audrey Zwo plötzlich sogar spricht und ganz klar immer mehr Opfer fordert, kann er die Entwicklung nicht mehr stoppen. Er glaubt, die so sehr ersehnte und jetzt endlich gewonnene Zuneigung seiner Kollegin Audrey, nach der er die Pflanze benannt hat, sei nur seinem Erfolg geschuldet.

Die Horrorparodie von Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Text) kommt in der Inszenierung von Susanne Heydenreich in dem kleinen Theatersaal, einem ehemaligen Kino, bestens zur Geltung. Neben der eigentlichen Bühnenfläche bespielt man auch eine kleine, seitliche Empore, für Auf- und Abgänge werden zusätzlich die Gänge neben den Sitzreihen und eine Tür benutzt, die direkt vom Zuschauerraum nach draußen führt. In der ersten Reihe darf man auch nicht zimperlich sein; gut möglich, dass man plötzlich eine junge Dame auf dem Schoß sitzen hat, die zu Tode erschrocken vor dem sadistischen Zahnarzt Orin Scrivello flüchtet. Oder dass sich die langen Ableger von Audrey Zwo unversehens um die eigenen Füße wickeln. So entsteht eine unmittelbare Nähe zum Publikum, eine besondere Stimmung, in der die schauspielerischen Leistungen der Darsteller intensiv zur Geltung kommen.

Auf ganzer Linie überzeugt Sascha Diener als Seymour Krelborn. Als linkischer Tollpatsch stolpert er über alles, was ihm auch nur ansatzweise im Weg steht: Blumeneimer, Besen, das volle Kehrblech und die eigenen Füße. Einfach grandios die aufgesetzte Lässigkeit, mit der er alle Pannen zu überspielen sucht und dabei gleichzeitig seine hübsche Kollegin Audrey anschmachtet. Sascha Diener verkörpert nicht nur perfekt den sympathischen Verlierer, sondern vermittelt auch glaubhaft seine Aggressivität gegenüber Audreys brutalem Freund Scrivello, den er noch wahrhaft genüßlich an „Zwo-i" verfüttert, dann das Erschrecken, als immer mehr Menschen von der Pflanze verspeist werden und zuletzt die Hilflosigkeit und das Entsetzen, als seine geliebte Audrey ebenfalls zum Opfer wird. Auch stimmlich gefällt Diener mit schöner, gut geführter Baritonstimme. Im Duett „Jetzt hast du Seymour" harmoniert er vortrefflich mit Julia Coolens als Audrey. Coolens lispelt nicht nur herrlich erfrischend das nett-naive Blondchen, sondern lässt auch die ernsteren Aspekte ihrer Rolle im genau richtigen Maß anklingen, wie etwa ihre Angst vor Scrivello, bei dem sie sich unterwürfig mit „Verzeihung, Doktor" für Nichtigkeiten entschuldigt, um ihn nicht zu weiteren Gewalttätigkeiten zu reizen. Ihre Sehnsucht nach einem gutbürgerlichen Leben besingt sie bei „Im Grünen irgendwo", eine stimmlich zwar nicht überragende, aber durch den Charme des Vortrags dennoch anrührende Darbietung.

Deutliche Intonationsschwierigkeiten haben dagegen Jenny Winkler als Ronnette, Lucia Schlör als Crystal und Sorina Kiefer als Chiffon. Natürlich darf man beim Gesang an ein reines Schauspielensemble keine überzogenen Erwartungen richten, doch die kurzen Soloparts klingen viel zu dünn. Nur die gemeinsamen Hintergrundgesänge gelingen. Überzeugender sind da Reinhold Weiser als Mr. Mushnik mit jiddischem Akzent, flottem Tangoschritt und im Duett „Mushnik & Sohn" mit angenehm sonorer Stimme sowie Bernhard Linke als Orin Scrivello. Linke punktet zwar auch mehr durch seine gelungene schauspielerische Umsetzung des schmierig-gefährlichen Sadisten, aber sein stellenweise eher gesprochener Gesang passt zur Interpretation der Rolle.

Dass die Musik vom Band kommt stört in diesem Rahmen keineswegs, denn sowohl gesprochene Passagen als auch Lieder sind durchweg gut verständlich. Die Kostüme von Marina Zydek unterstreichen gekonnt die verschiedenen Charaktere: nicht zusammen passende karierte Weste und Hemd bei Seymour, Schuhe mit Tigermuster und geblümter Rock für Audrey. Die Straßengirls in zerrissenen Netzstrümpfen, Macho Scrivello in Leder mit gegelter Tolle. Gut gelungen auch die bühnenbildnerische Umsetzung der Handlung: Im ersten Akt gibt es am Bühnenhintergrund nur ein Fenster, durch das man vom armseligen, fast blumenleeren Laden zur Straße sieht. Für den zweiten Akt werden einfach zwei weitere Fensterteile angefügt, so dass die breite Glasfront des erfolgreichen Floristikunternehmens entsteht. Das Bild wird vervollständigt von Glitzerdeko an den Wänden, ein deutlich vergrößertes Blumenangebot und ein Portrait des Firmenchefs, der witzigerweise nun durch eine Perücke auch seine persönliche Erscheinung aufgepeppt hat. Der Star jedoch ist Audrey Zwo. Anfangs ein unscheinbares kleines Pflänzchen im Blumentopf, wächst sie nicht nur Szene für Szene, sondern entwickelt auch immer deutlicher ein riesiges Maul mit aufgeworfenen grellroten Lippen und furchterregenden Zähnen. Im zweiten Akt nimmt Audrey Zwo gut ein Drittel der Bühne ein und streckt ihre Fühler bis ins Publikum. Zum Ende des Stücks wird auch Seymour selbst von der gefräßigen Pflanze verspeist und kann nicht mehr verhindern, dass Ableger genommen werden. Wie gesagt, man hat nach dieser amüsant-gruseligen Vorstellung fast das Gefühl, seine Zimmerpflanzen einer genauen Prüfung unterziehen zu müssen. Vorsichtshalber.

Text: Sylke Wohlschiess

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