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Interview mit Lutz Standop:
Im Dienst der Freundschaft

Er ist keiner, der sich ins Rampenlicht drängt. Lutz Standop ist da ganz ähnlich eingestellt wie Mirdin, sein Bühnencharakter in „Der Medicus“. Nach seiner Ausbildung am Konservatorium der Stadt Wien spielte Lutz Standop viele ganz unterschiedliche Rollen, u.a. in Musicals wie „Jekyll & Hyde“, „Les Misérables“ oder „Hair“. In Fulda wirkt er bereits zum fünften Mal in einer Produktion von Spotlight-Musicals mit. Wir sprachen mit ihm im Schlosstheater Fulda über seine Rolle als Robs bester Freund Mirdin.

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Hatten Sie Noah Gordons Roman schon gelesen, bevor Sie die Zusage für „Der Medicus“ erhielten?
Nein. Als ich das Buch gelesen habe, wusste ich schon, dass ich Mirdin spielen werde. Aber ich kann mich noch erinnern, dass ein Freund „Der Medicus“ schon vor Jahren gelesen und mir ein paar besonders spannende Stellen daraus vorgelesen hat. Letztes Jahr habe ich die dreistündige uncut-Version des Films angeschaut und dachte, es wird spannend, das als Musical umzusetzen. Als ich die Zusage hatte, ging ich den Text mit Stift und Zettel durch, gezielt auf der Suche nach Informationen über Mirdins Charakter und sein Leben.

Mirdin ist Student an der Madrassa. Wie wichtig ist ihm die Medizin?
Sehr wichtig. Die Medizin ist sein Leben. Er ist Vollblutarzt. Er ist mit ganzer Seele dabei. Er möchte allen Menschen helfen, er möchte verstehen, wie Gesundheit entsteht, wie man Kranke heilen kann.

Ist er auch ein Getriebener, ähnlich wie Rob?
Nein, getrieben ist nicht das richtige Wort. Mirdin ist ein viel ruhigerer Typ mit klaren Vorstellungen vom Leben. Ihm ist klar, dass er als Jude in Isfahan einer geduldeten Minderheit angehört und er deshalb ein bisschen auf- und sich sehr anpassen muss, um keine Probleme zu bekommen.

Was ist sind Mirdins wichtigste Wesenszüge?
Er ist eine ganz treue Seele. Das ist ein zentraler Punkt, der immer wieder thematisiert wird. Es zeigt sich in der Beziehung zu seiner Frau Fara, mit der er, da bin ich sicher, ein sehr gutes Verhältnis hat. Er ist gutmütig, sehr unterstützend und hat eine absolut positive Ausstrahlung. Er möchte immer das Beste für alle und kommt deshalb auch mit Ungerechtigkeiten gar nicht klar. Als Rob beispielsweise von den Wachen zusammengeschlagen wird, ist er sofort zur Stelle und hilft ihm. Mirdin ist außerdem äußerst pflichtbewusst. Auch vor schwierigen Aufgaben drückt er sich nicht, sondern betrachtet diese als Prüfungen, die ihm das Leben offensichtlich auferlegt und denen er sich stellen muss. Er denkt da relativ schicksalsergeben, vielleicht hängt das auch ein wenig mit seinem jüdischen Glauben zusammen. Er freut sich, als der neue Schah Karim ihn zu seinem Leibarzt ernennt. Als er von ihm verlangt, mit in den Krieg gegen die Seldschuken zu ziehen, ist das natürlich eine Auswirkung, die Mirdin garantiert nicht wollte. Er ist absolut kein Soldat. Aber er nimmt diese Konsequenz hin. Zum einen, weil man natürlich zum Schah nicht einfach „oh, das passt jetzt aber schlecht“ sagen kann. Zum anderen aber auch, weil er ja mit Karim befreundet ist und einem Freund niemals einen Wunsch abschlagen würde. Ich glaube, das ist das Dilemma seines Pflichtbewusstseins. Er kann gar nicht anders. Hier kommt auch sein Idealismus ins Spiel, der ihm letztlich zum Verhängnis wird. Mirdin stürmt auf das Schlachtfeld, aber nicht um zu kämpfen, sondern um Verwundete zu retten. Er hat Menschen leiden sehen und sich als Arzt verpflichtet gefühlt, zu helfen.

der medicus 08Im Buch stirbt er in dieser Schlacht, im Musical schafft er es zurück nach Isfahan und stirbt in den Armen seiner Frau. Warum wurde das verändert?
Da kann ich nur mutmaßen, weil ich mit dem Autor nicht darüber gesprochen habe. Aber ich denke, es geht um die dramaturgische Fallhöhe. Eine Sterbeszene gibt natürlich viel mehr her, als wenn eine wichtige Figur wie Mirdin halt einfach tot ist. Außerdem entwickelt sich daraus der Streit zwischen Karim und Rob. Rob geht ja unter dem Eindruck von Mirdins Tod zu Karim und wirft ihm vor, diesen verschuldet zu haben. Karim weist das von sich. Mirdin hätte nur an seiner Seite bleiben müssen, dann wäre ihm gar nichts passiert. Daraus entsteht die Schachnummer. Die Karim verliert (grinst).

Was ist Ihnen an der Rolle des Mirdin besonders wichtig?
Für die Rolle ist die Offenheit seines Wesens wichtig, ebenso die positive Energie, die er bis zum Schluss hat. Er vermittelt so ein „alles ist gut, wir kriegen das hin“-Gefühl. Es ist wichtig, dass die Figur sympathisch wirkt, was aber fast nicht anders geht, weil sie von vornherein so angelegt ist. Auf Mirdin kann man sich immer hundertprozentig verlassen. Im Buch zeigt sich das, als sie losziehen, um gegen die Pest zu kämpfen. Auf dem Weg haut ein Arzt nach dem anderen während der nächtlichen Wache ab. Mirdin gehört zu denen, die klarstellen, dass es so nicht geht. Wer sich selbst in Sicherheit bringen will, solle das tun, es wird keinem angekreidet, aber es ist nicht in Ordnung, den Rest der Gruppe schutzlos zurück zu lassen. Er ist in jeder Situation verantwortungsbewusst und in seinem ganzen Verhalten sehr konstant. Das macht ihn zum absoluten Sympathieträger.

Ist es nicht schwierig, all‘ dies ganz ohne großes Solo rüberzubringen?
(lacht). Ja. Aber es klappt trotzdem. Es ist für meine Figur sehr wichtig, dass Mirdin Jude ist. Deshalb habe ich sehr für dieses jüdische Gebet gekämpft, ich hatte einfach das Gefühl, dass da noch irgend etwas hin muss. Regisseur Holger Hauer sah das zum Glück genauso. Marian Lux hat dann dieses kurze, aber sehr schöne Lied komponiert. Das „jüdische Gebet“ ist musikalisch so komprimiert, dass es die Figur unglaublich unterstützt und sehr authentisch die Stimmung und den Lebenskosmos der Juden in Isfahan transportiert.

Ist das ein…
…echtes Gebet? Es sind die Anfangszeilen des 23. Psalms. Auf hebräisch. Das war gar nicht so einfach zu lernen. Ich hatte es in Lautsprache aufgeschrieben bekommen und immer wieder angehört, um festzustellen, ob ich es richtig mache oder vielleicht die Vokale anders formen muss. Ich habe rauf und runter geübt. Es ist deutlich leichter, Texte zu lernen, die man sofort begreift und sofort versteht. Die hat man ruck-zuck drin.

standop 02Wie entsteht die Freundschaft zwischen Mirdin und Rob?
Mirdin ist an sich sehr hilfsbereit. Als Rob zusammengeschlagen wird, ist es für Mirdin selbstverständlich, sich um ihn zu kümmern. Dann ist er auch noch ein Jude, der neu in Isfahan ist. Juden müssen sich gegenseitig helfen. Diese anfängliche Hilfsbereitschaft entwickelt sich weiter zu einer großen gegenseitigen Sympathie. Mirdin merkt sehr schnell, dass Rob vielleicht sogar noch mehr als er selbst für die Medizin brennt. Es imponiert ihm sehr, welche Strapazen Rob auf sich genommen hat, um überhaupt nach Isfahan zu gelangen und an der Madrassa bei Ibn Sina studieren zu dürfen. Er erkennt auch Robs enormen Leidensdruck – er hat ja schon als Kind den Tod seiner Eltern gespürt, ohne etwas dagegen tun zu können. Mirdin selbst hat diese Gabe und auch diesen Leidensdruck nicht. Er ist ein guter Arzt, davon bin ich überzeugt. Aber er akzeptiert auch bestimmte Grenzen. Menschen aufschneiden muss man nicht, weil das Innere des Menschen dem eines Schweines gleicht. Das hat er gelesen und verinnerlicht. Dagegen würde er erstmal nicht verstoßen, weil er glaubt, dass den Menschen damit der Weg ins Paradies verwehrt wäre. Deshalb darf man eigentlich auch niemanden verbrennen, aber da machen sie letzten Endes Abstriche, weil sie merken, dass sie die Pest gar nicht anders loswerden. Aus Sympathie und gemeinsamer Begeisterung für die Medizin entwickelt sich eine super Freundschaft.

Die aber von einer Lüge überschattet wird…
Im Buch wird das sehr detailliert beschrieben. Mirdin schneidet Rob nach dessen Hochzeit mit Mary, weil er nicht gutheißt, dass Rob außerhalb seines Glaubens geheiratet hat. Er wirft Rob vor, sich dadurch von der sowieso schon kleinen und gefährdeten Gemeinschaft abzuwenden. Als Beweis seines Vertrauens gesteht Rob ihm, dass er in Wahrheit selbst Christ ist. Ich finde es total spannend, dass Mirdin da richtig sauer wird - und Rob das so gar nicht nachvollziehen kann. Mirdin müsste Rob nun eigentlich melden. Tut er das nicht, bringt er sich selbst und seine Familie in Gefahr. Super, Rob, was mutest Du mir da eigentlich zu? Mirdin haut stinkwütend ab und kehrt nach einiger Zeit mit diversen jüdischen Lehrbüchern zurück. Das macht ihn so liebenswert. Rob soll glauben, was immer er will, aber weder sich noch andere in Gefahr bringen. Also muss er jetzt gefälligst die Gesetze der Juden lernen, damit er sich richtig verhalten kann und der ganze Schwindel nicht auffliegt. Damit erweist Mirdin Rob einen unfassbar großen Freundschaftsdienst und zeigt unglaubliche Toleranz. Im Musical sehen wir gar nicht, ob Mirdin von Robs wahrer Identität erfährt oder nicht. Ich habe es für mich aber so gebaut, dass er es weiß.

der medicus 09Das heißt, das Buch beeinflusst einen schon bei Dingen, die dort beschrieben, aber im Musical nicht thematisiert werden.
Das ist wahr. Auf den vielen Seiten des Buchs finden sich so viele Details, dass man als Schauspieler jede Menge Futter findet, das einem ein logischerweise gestrafftes Libretto gar nicht geben kann. Noah Gordon beschreibt viele Dinge bis in kleinste optische Einzelheiten. Es ist wunderbar, dass es diesen Roman gibt. Klar, sonst gäbe es dieses Musical ja gar nicht (lacht). Ich will damit sagen, dass mir als Schauspieler das Buch dabei hilft, meine Figur tiefgehender zu charakterisieren. Die Darstellung wird runder. Ich hoffe, beim Publikum kommt an, dass viel Seele in der Umsetzung der Rolle steckt. Das ist mir auch deshalb wichtig, weil Mirdins Verhalten auch für die Realität ein gutes Beispiel gibt. Ihm ist die individuelle Freundschaft zu dem Menschen Rob wichtiger, als die pauschale Ablehnung einer Person, die einen anderen Glauben hat. Menschen sind Menschen – das ist unsere größte Gemeinsamkeit. Wir glauben an unterschiedliche Dinge, aber das ist kein Grund, sich zu bekämpfen. Es kann spannend sein, darüber zu diskutieren. Vielleicht sind aber Diskussionen auch gar nicht so wichtig, wie ein tolerantes Miteinander. Menschen sind Individuen, die sich unabhängig von ihrem Glauben gut verstehen können. Im Buch wird Mirdin ja gar nicht deshalb wütend, weil Rob Christ ist, sondern weil er ihn belogen, vielleicht ein bisschen ausgenutzt und in Gefahr gebracht hat. Aber sie mögen sich wirklich und das ist beiden auch bewusst.

Es gibt noch den Dritten im Bunde. Wieso ist Mirdin eigentlich mit jemandem wie Karim befreundet?
Mirdin mag Menschen. Ich glaube, es gibt wenig Leute, mit denen er gar nicht klar kommt. Karim mag er, weil er lustig ist. Mirdin hat eine gewisse Seelenschwere. Da braucht er natürlich auch einen Freund, der ihm ab und zu eine gewisse Leichtigkeit gibt. Das setzt einen schönen Kontrapunkt zu Mirdins Ernsthaftigkeit. Die Freundschaft zwischen Mirdin und Rob beruht auf Gemeinsamkeiten, die Freundschaft zwischen Mirdin und Karim auf Gegensätzen. Das kennt man ja aus seinem eigenen Leben. Man hat Freunde, mit denen man sehr viel gemeinsam hat. Und dann hat man ein paar Freunde, die sind wirklich das genaue Gegenteil von einem selbst. Aber man gibt sich dadurch gegenseitig sehr viel. Hinzu kommt, dass Karim ein Einheimischer ist und Mirdin daran liegt, sich auch mit den Leuten vor Ort gut zu verstehen. Er und Rob helfen ja im Buch auch Karim dabei, durch die Prüfungen zu kommen. Das zeigt, wie eng sie befreundet sind, denn wer würde schon mit jemandem nächtelang pauken, den er gar nicht mag.

standop 03Machen Sie als Darsteller sich auch über die Beziehungen Ihrer Figur Gedanken, die im Stück nicht so stark oder nicht so vordergründig thematisiert werden?
Auf jeden Fall. Karim ist für Mirdin eine ganz wichtige Figur, seine Fehlentscheidung führt ja letztlich sogar zu seinem Tod. Natürlich denke ich darüber intensiv nach. Mirdin, Rob und Karim sind ein Dreiergespann, deren Freundschaft an bestimmten Verhaltensweisen sichtbar werden muss, damit die Darstellung insgesamt passt. In den Proben lernt man, welche Reaktionen stimmig sind. Findet Mirdin jetzt lustig, was Karim sagt, oder ist er genervt? Die Art und Weise, wie man reagiert, spiegelt die Beziehung zwischen den Figuren wider.

Unter all‘ den schillernden Gestalten in Isfahan geht der zurückhaltende Mirdin fast ein wenig unter. Da könnte man durchaus Parallelen ziehen: Sie sind selbst trotz ihrer vielen erfolgreichen Engagements kein „Musicalstar“ mit tausenden von FB-Fans oder Twitter-Followern.
So eine Fanpage müsste ich mir ja im Zweifel selber basteln (lacht). Ich freue mich sehr, wenn man meiner Arbeit Wertschätzung entgegenbringt. Es ist schön, dass ich schon viele sehr unterschiedliche Rollen übernehmen durfte, für mich ist das eine ganz entscheidende Qualität meines Berufes. Natürlich soll es schon auch jemand mitbekommen, was ich so mache. Sonst wäre es ja auch blöd. Aber das ist ja auch bei anderen Berufen wichtig. Ich meine, wenn man ein Heilmittel gegen Krebs entdeckt und das niemand weiß, wäre das auch nicht sinnvoll. Ich möchte einfach, dass meine Arbeit im Mittelpunkt steht, nicht so sehr meine Person. Mein Beruf ist mir sehr wichtig, ich bin gerne Sänger und Schauspieler, aber ich stelle mich in den Dienst einer Figur.

Sie waren schon vor „Der Medicus“ in einigen Uraufführungen dabei. Worin liegt der Unterschied, wenn man eine Rolle ganz neu kreieren kann zu Parts, die schon viele andere Künstler vorher gespielt haben?
Es ist sowohl einfacher als auch schwieriger. Wenn es etwas schon gibt, existieren ganz viele Vorstellungen davon, wie das zu sein hat. Man kann gar nicht allen zugleich gerecht werden, aber man muss zumindest wissen, welche Erwartungshaltung vermutlich an diese Figur gestellt wird. Natürlich hängt das auch von der Regie ab. Es gibt durchaus auch die Variante, dass ein Regisseur einen Charakter völlig anders sieht und deshalb auch völlig anders besetzt. Bei einer Uraufführung haben alle Beteiligten ein weißes Blatt Papier vor sich. In den Proben kommuniziert der Regisseur seine Ideen; als Darsteller hat man bei einer Uraufführung tendenziell mehr Möglichkeiten, die Rolle individuell zu formen und eigene Ideen ins Rennen zu bringen. Die Basis ist noch ungeschliffener und dadurch wird der ganze Prozess, wie eine Inszenierung entsteht, besonders spannend.

Interview: Sylke Wohlschiess

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