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Interview mit Jan Ammann:
„Nur wir hatten den Zaubertrank.“

28.07.2017 - Jan Ammann im Interview zu den Musicals „Ludwig²“ und „Rebecca“

Flashback: 11. März 2005. Uraufführung des Musicals „Ludwig²“. In der Titelrolle ein noch unbekannter Darsteller in seiner ersten großen Rolle: Jan Ammann. Inzwischen zählt er längst zu den erfolgreichsten Künstlern der Musicalszene, hat viele große Partien gespielt und mehrere Alben veröffentlicht. Im Sommer 2017 kehrt er als Ludwig II. zurück ins Festspielhaus Füssen. Das weckt Erinnerungen – und Emotionen.

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„Ich bin Ludwig, bin der König.“ Wie war es für Sie, diese Worte das erste Mal wieder in diesem Stück, auf dieser Bühne zu singen?
Für mich war das ohne jeden Zweifel ein ganz besonderer Moment, eine Rückkehr sozusagen. Diese Worte spricht der König ja im dramaturgischen Wendepunkt des Musicals. Er erwehrt sich und entscheidet sich für eine Richtung. Diese Richtung mit dem König gemeinsam zu gehen, war ein unbeschreibliches Gefühl.

Hätten Sie gedacht, dass es diese Rückkehr für Sie jemals geben würde?
Nein. Das war eine Bauchentscheidung. Ich wollte den König so gerne wieder spielen. Eigentlich schien es terminlich überhaupt nicht realisierbar, aber schließlich haben wir doch Möglichkeiten gefunden. Teils war das echt hart, vor allem wegen der Entfernung, denn ich spiele ja parallel in Tecklenburg, auf der anderen Seite Deutschlands. Jetzt tut es so gut, wieder hier in Füssen zu sein. Das Festspielhaus ist wieder voller Leben, der Regisseur und das ganze Team haben mich so herzlich empfangen. Ich habe mich sofort wohl gefühlt.

Das Musical „Ludwig²“ hat eine bewegte Geschichte hinter sich.
Ja, das stimmt. Ich war ja von der Uraufführung 2005 bis kurz vor der Insolvenz im Jahr 2007 dabei. Es gab damals einigen Unmut und politisches Gebaren. Ohne es zu wollen, rutschte ich in eine ziemlich zentrale Position. Ständig wollte man wissen, was ich vom angeblich schlechten Marketing halte, vom gefeuerten Intendanten oder von seinem Nachfolger. Ich konnte mich nicht rausziehen und sagen „hei, ich bin doch nur der Darsteller“, sondern wurde in eine Verantwortung gedrängt, für die ich viel zu jung war. Das war für mich keine gute Situation. Als ich damals ging, hatte ich immer noch diese Liebe zum Stück tief in mir, aber die Erinnerung an die letzten Monate war sehr aufwühlend. Private Aspekte kamen hinzu. Es hatte sich eine kleine schwarze Wolke gebildet, die ich ohne richtigen innerlichen Abschluss verlassen habe. Ich fühlte mich dem Ganzen etwas entrissen. Es war eine sehr schöne Zeit, aber kein schönes Ende.

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War das der Grund, warum Sie 2011 bei der Wiederaufnahme in Kempten nicht dabei waren?
Ich brauchte Abstand. Die Jahre in Füssen habe ich unendlich genossen, aber danach musste ich raus. Es war fast so etwas wie eine Flucht. 2011 war noch zu dicht dran. Ich wollte nicht wieder in etwas hineingeraten und hatte das Gefühl, dass es einfach noch Unstimmigkeiten gab. Außerdem konnte und kann ich mir dieses Musical an einem anderen Ort auch gar nicht vorstellen.

Dann wäre ja 2016 die erste Möglichkeit gewesen…
Das Aufgebot, das bei der Neuinszenierung dabei war, hat mich echt überrascht. Ich kann Benjamin Sahler zu seinem Mut nur gratulieren, das Crowdfunding zu initiieren und solche exquisiten Künstler wie beispielsweise Matthias Stockinger zu engagieren. Das hat mich neugierig gemacht. Matthias und ich kennen uns schon sehr lange, er ist ein richtig toller Kollege. Dann gab es diese vielen positiven Reaktionen. Mich hat das so gefreut. Ich glaube, ich hatte im Vorfeld die Befürchtung, dass es wieder ein jähes, unschönes Ende nehmen könnte. Das hätte das Stück nicht verdient. Außerdem ist Füssen zwar einer der schönsten, aber zugleich auch einer der schwierigsten Standorte Deutschlands. Es ist sehr schwer, hier einen übergreifenden Markt zu schaffen und Leute aus dem ganzen Land hierher zu bringen. Ich merke es ja selber: Wenn ich nach München fliege, braucht’s immer noch zwei Stunden Autofahrt nach Füssen. Es ist halt ein Stiefel. Aber der Stiefel lohnt sich. Man muss das Publikum dafür sensibilisieren. Jetzt habe ich die Gunst der Stunde genutzt und die Herausforderung angenommen. Und ich bin so froh drüber, trotz der weiten Wege. Bei meiner zweiten Show habe ich gemerkt, dass ich meinen Frieden mit dem Stück gefunden habe. Darüber bin ich so unsagbar froh.

Änderungen im Musical „Ludwig²“

ammann jan 07Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, warum gerade hinter diesem Musical so viele Menschen mit solcher Hingabe stehen?
Ein Grund ist sicher die Nähe zu König Ludwig II., die Zuneigung, die viele für ihn auch heute noch empfinden. Außerdem ist „Ludwig²“ einfach ein ganz besonderes Musical. Es fällt ein bisschen aus dem Rahmen, schon 2005 war es ein kleiner Exot. Es gab die ganze Musicalszene und es gab Füssen. Diese kleine Enklave da im Allgäu, das gallische Dorf.

Inklusive Asterix?
(lacht). Nur wir hatten den Zaubertrank. „Ludwig²“ war und ist etwas Einmaliges. Ich glaube, derjenige, der dieses Musical schätzt und die Geschichte liebt, den wird es immer wieder begeistern. Als publik wurde, dass ich König Ludwig II. wieder spiele, habe ich unglaublich viel Post von Menschen bekommen, die das Stück gesehen haben. Fast in jeder Mail stand, dass Tränen fließen werden. Der König ist zurück, das Stück ist zurück - das kann man nur tränenreich begrüßen. Es gibt eine besondere Empfindsamkeit, was dieses Stück angeht, die mit einer besonderen Stimmung zu tun hat. Ich finde es wunderbar, dass so viele Menschen einen ungewöhnlich emotionalen Zugang zu dieser Thematik haben. Das kenne ich so nicht. Natürlich gibt es Musicals, die frenetisch gefeiert werden und es macht total Spaß, in diesen mitzuwirken. Aber hier besteht eine tiefe Verbundenheit, die weit über das Musical hinausgeht. Es hat mit der Bedeutung des Königs zu tun, mit der Liebe zu ihm, mit… allem. Man kann es nicht beschreiben. Es ist anders.

Anders ist jetzt auch einiges am Stück, sowohl der dramaturgische Aufbau, als auch ein Teil der Texte. Wie schnell hatten Sie diese Veränderungen intus?
Das ging erstaunlich schnell, was aber an den Texten liegt. Es gibt Texte, die ich mir sofort merken kann, obwohl sie ellenlang sind.

ammann jan 08Dann waren gar nicht viele Proben nötig?
Die Neuerungen hatte ich zwar noch nicht im System abgespeichert, aber sie waren mir schon bewusst. So haben glücklicherweise die beiden für mich verfügbaren Probentage gereicht. Allerdings hatten die auch 14 Stunden, mit zwei Durchläufen, einen auf der Probebühne und dann noch einen auf der großen Bühne, bei dem der Regisseur neben mir lief, damit ich mir die Wege auf der Bühne und die Auf- und Abgänge genau einprägen konnte. Danach ging ich echt auf dem Zahnfleisch. Zum Schluss bin ich tatsächlich noch in den See gefallen. Ich bin ausgerutscht und lag im Wasser. Die Kollegen meinten, dass sei der perfekte Einstand gewesen. Das Wasser war nur blöderweise ziemlich kalt.

Was gefällt Ihnen an der neuen Inszenierung am besten? Die Wassertemperatur vermutlich nicht…
Inzwischen ist’s wärmer (lacht). Es gibt viele Details, die ich gut finde. Der König beginnt die Show in einem Zeittunnel, die Laser und technischen Elemente sind mit den alten Kulissen verbunden, an denen noch so viele meiner Erinnerungen hängen. Auch das Übersetzen vom kleinen Prinzen zum König ist super gelöst.

Sehr ergreifend ist die Szene mit Otto in Guddens Klinik, der in seinen Alpträumen diese übergroßen wandelnden Skelette sieht. Ich als König sehe diese ja nicht und frage mich, was ihn so quält. Ich liebe auch das Ende, weil es ein echter Abschluss ist. Man sieht Gudden, wie er dem König aus dem Wasser helfen will, Ludwig geht auf ihn zu, dann knallt ein Schuss. Das Licht geht erst aus, wenn der König fällt. Es ist eine schlüssige Stellungnahme. König Ludwig wurde umgebracht, auf die eine oder andere Art und Weise, ebenso wie Gudden, der ja als Mitwisser gefährlich war. Was, wenn er sein Gutachten zurückziehen würde? Dann wären wir ganz schnell bei Hochverrat. Und dann ist Schicht im Schacht für Rettenberg & Co. Im Prinzip sind die Schüsse aber gar nicht wirklich relevant.

Warum nicht?
Es ist ja schon fast Mord, wenn man ihn mal eben seines Amtes enthebt, für verrückt erklärt und auf Schloss Berg einsperrt. Das war schon sein Tod. Ich glaube, dass er keinen natürlichen oder gar freiwilligen Tod gefunden hat.

ammann jan 12Gibt es eine neue Szene, die Sie besonders bewegt?
Die gibt es tatsächlich und zwar die Begegnung zwischen König Ludwig und dem amerikanischen Journalisten Lew Vanderpoole. Für mich ist dieser Teil neu, in der Originalinszenierung gab es die Szene nicht. König Ludwig II. sah große Parallelen zwischen seiner Persönlichkeit und der des von ihm bewunderten Schriftstellers Edgar Allan Poe. In diesem Dialog, der eigentlich eher ein Monolog und tatsächlich ein Zitat des Königs ist, erkennt man, welchen Tiefgang er hatte. Hier kann er sehr reflektiert über sich selbst reden, weil er eigentlich über jemand anderen spricht, dem er sich verbunden fühlt. Er sagt zuerst „Mein Innerstes ist wie eine fotographische Platte, jede leiseste Bewegung unverwischbar eingeprägt“. Und dann weiter: „Die Natur hat nur Platz für eine bestimmte Art von Menschen. Wer sich behaupten will, muss rau, rücksichtslos und unempfindlich sein“.

Das sind intensive Äußerungen, die mich sehr beeindruckt haben, weil sie so wahrheitsnah sind. Allein nur für diese Sätze freue ich mich, wieder in dieser Rolle auf der Bühne zu stehen. Dieses Zitat könnte ich kopieren und in meinen FB-Status posten, so sehr passt es auch zu meinen Gedanken. Am liebsten würde ich aller Welt mitteilen, wie König Ludwig schon zu seiner Zeit gewusst hat, wie es um uns bestellt ist. Diese Worte passen doch auf unsere heutige Zeit auch. Das fängt schon in der Schule an und zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Man muss immer wieder bewusst gegensteuern. Es ist wirklich krass, wie wegweisend und fortschrittlich dieser König war. Ist man gleich verrückt, weil man der Welt ein bisschen Musik und Poesie schenken will? Für mich sind solche Worte der dreifache Beweis dafür, dass er überhaupt nicht verrückt war. Ein Exzentriker, absolut, und vielleicht seiner Zeit so sehr voraus, dass er in dieses System damals nicht gepasst hat und vermutlich auch heute nicht passen würde. Toll, dass es einen solchen Menschen gab, der auch noch König war.

Faszination König Ludwig II.

ammann jan 16Klingt da eine besondere persönliche Beziehung zu diesem Musical durch?
Ja. Mit diesem Stück fing für mich alles an. Zuerst mit „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“, das war eine wahrhaft opulente Produktion mit Bühnenbildern, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Für dieses Stück wurde das Festspielhaus ja erst gebaut. Stephan und Josephine Barbarino haben wie der König gehandelt und einfach losgelegt. Sie haben Unglaubliches geschaffen und der König ist damit auch noch einmal wiedergeboren. Dann kam das zweite Musical, „Ludwig²“. Da haben sich so viele Synapsen verbunden, das ganze Erleben wurde immer intensiver. Nach und nach habe ich immer mehr von meiner Person in das Stück eingebracht. Und dann hat sich diese Königsliebe noch deutlicher herauskristallisiert.

Das heißt, Sie interessieren sich auch außerhalb der Rolle für den König?
Ja, sehr sogar. Wir waren damals zu einer Privatführung auf Schloss Neuschwanstein – ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis. Wir sind durch kleine Gänge gegangen, die man normalerweise nicht betreten darf. Schloss Hohenschwangau fand ich aber fast noch spannender. Ich kann mir gut vorstellen, dass dort eine Familie gelebt hat. Ludwig und sein Bruder Otto sind ja mit ihren Eltern oft dort gewesen, sie haben die Sommermonate dort verbracht. Dagegen hat König Ludwig auf Neuschwanstein nur ein paar Wochen gewohnt, als „Baustellenbesuch“ im Torhaus und dann später nochmal in der Königswohnung. Ich war auch auf dem Falkenstein, auf der Roseninsel im Starnberger See und am Chiemsee. Die Lebensgeschichte dieses Menschen finde ich unglaublich faszinierend. Er war ein imposanter Mann. Ich wusste nicht, dass ich auf den Zentimeter genauso groß bin wie er. Wenn ich auf der Bühne stehe, sehe ich das Geschehen also genau aus seinem Blickwinkel. Außerdem habe ich am selben Tag Geburtstag.

ammann jan 09Bewirkt das eine besondere Nähe?
Vielleicht ist das mit ein Grund, ja. Auf jeden Fall fühle ich diese besondere Verbundenheit. Warum das so ist, kann ich gar nicht exakt benennen. König Ludwig II. ist ja eine reale Person, er hat hier in dieser Region gelebt. Es bewegt mich schon, wenn ich durch die Füssener Fußgängerzone gehe und es heute noch heißt „schau mal, da ist der Kini.“

Die Leute sagen also nicht „schau, da ist Jan Ammann“?
Nein, sie sagen Kini. Die kennen mich alle noch. Das finde ich total irre und das habe ich so auch noch nie erlebt. Es ist sehr schmeichelhaft. Es freut mich echt, dass die Allgäuer mich, den Preußen, akzeptiert haben und das Haus bei meiner Premiere voll war. Auch nach zwölf Jahren ist diese Zuneigung noch da, in so einer respekt- und liebevollen Weise, dass ich ganz gerührt bin. Es bewegt mich, wenn die Menschen mit offenem Herzen auf mich zugehen und mir so viel Sympathie entgegenbringen.

Woran könnte das liegen?
Ich glaube, es hat damit zu tun, dass ich ganz großen Respekt vor König Ludwig II. empfinde. Vielleicht spüren die Leute das. Meine größte Sorge war immer, dass der König überzeichnet werden, dass seine angebliche Krankheit seine Botschaft überdecken könnte. Der König hat so vieles erreicht, er hat so viele positive Dinge angestoßen und er hatte sehr moderne Gedanken. Ich will keine Rolle spielen und womöglich etwas karikieren. Alles, was man ihm als „Verrücktheiten“ ausgelegt hat, entstand aus Leid und Einsamkeit. Das sind Beweggründe, wie sie wahrhaftiger nicht sein können. Wenn die Seele leidet, kann man nicht einfach einen Verrückten mimen. Ich wurde mit dieser Rolle auf die Bretter die die Welt bedeuten geschickt. Es ist mein größtes Anliegen, diese Rolle würdevoll und mit Respekt auszufüllen.

ammann jan 11Was fasziniert Sie an der historischen Person König Ludwig II. besonders?
Seine Liebe zur Musik und zur Sagen-Haftigkeit. Sein Glaube an Ritter, wohl wissend, dass dies alles nur in Opern und Sagen wahr ist. Lohengrin, Tristan und Isolde, oder auch die Märchen der Gebrüder Grimm. Geschichten werden nicht grundlos über viele Generationen weitergegeben. Sie weisen eine tiefe Symbolik auf, sie vermitteln Werte. Ich glaube, König Ludwig wollte in seinem Idealismus diese Werte in die Realität überführen. Er wollte das Gute herauskristallisieren und das Böse in seine Schranken weisen. Für ihn hatte das Leben eine Moral, die an höchster Stelle stand. Und ich glaube, er hat gehofft, dass er als König dazu beitragen kann, all‘ dem mehr Präsenz zu verleihen. Vielleicht hat er sich dabei gelegentlich mal ein wenig in die Surrealität verirrt.

Die Wagner-Begeisterung ist ab und zu mit ihm durchgegangen?
Er wurde Hardcore-Fan (grinst). Eine durchkomponierte Oper ist schon harte Kost. Für den König wurden Separatvorstellungen gegeben. Keiner hat ihn gestört. Er war musikalisch so sensibel, dass er sich voll und ganz einlassen und sich in diesen Werken verlieren konnte. Das ist gar nicht so einfach. Selbst ich als Opernfan habe Probleme beim „Parsifal“. Es ist toll, aber streckenweise auch echt schwierig. Ich stehe ja total auf „Tannhäuser“ oder den „Fliegenden Holländer“. Leider sind das die Werke von Richard Wagner, die auf dem Grünen Hügel in Bayreuth am wenigsten geschätzt werden. Zugleich wollen aber die meisten Leute genau das sehen. Erstens, weil diese Stücke nicht zu lang sind und zweitens, weil es einfach großartige Musik ist. Ich habe die „Götterdämmerung“ in Bayreuth gesehen. So etwas als Sänger mitzuerleben, ist unglaublich.

Wird Ihrer Meinung nach das Musical „Ludwig²“ dem Menschen gerecht?
Das hoffe ich. Ich glaube, Ludwig war komplett überfordert, als er mit 18 Jahren seine erste Thronrede halten musste. Natürlich war er von klein auf in der Rhetorikschule und wusste, was er zu sagen hatte. Nur entsprach das nicht dem, was er wirklich vermitteln wollte. Am liebsten wäre er gar nicht König geworden. Und mit seinen Ansichten ist er von Anfang an auf Widerstand gestoßen. Seine einzige Vertraute war seine Cousine Elisabeth (Anm. der Redaktion: Sisis Mutter Ludovica und Ludwigs Großvater König Ludwig I. waren Geschwister, d.h. Sisi war die Cousine ersten Grades von Ludwigs Vater, König Max II., und die Cousine zweiten Grades von König Ludwig II.). Ludwigs Vater ist früh gestorben, das Verhältnis zu seiner Mutter war nicht wirklich prickelnd. Sisi war für ihn der einzige Quell von Familiengefühl. Sie hat ihn verstanden. Da haben sich Seelen gekreuzt, da war Nähe. Aber ich kann mir vorstellen, dass er sie auch als Frau attraktiv fand.

ammann jan 18Sie spielen auf die Roseninsel-Szene an.
Genau die meine ich. Für das Musical ist das geschickt gelöst: Jeder will eine Liebesgeschichte sehen. Die gibt es zwar nicht, aber König Ludwigs Gefühlsausbruch auf der Roseninsel legt schon den Schluss nahe, dass zumindest für ihn mehr da war als Seelenverwandtschaft. Sisi war unerreichbar für ihn, sie war verheiratet, sie war die Kaiserin von Österreich. Er rennt also wieder vor eine Wand und spürt, dass er in Fesseln lebt. Meiner Meinung nach gibt es da eine Grauzone zwischen verwandten Seelen und seiner Sehnsucht nach Nähe, auch nach körperlicher Nähe. Wenn eine Frau, dann sie. Aber es ging nicht. Vielleicht war es auch genau das, was sie für ihn so anziehend machte.

Inwiefern?
Das ist ja nicht ganz unspannend. Ich glaube, er hat seine Gefühle auf eine Frau projiziert, die ganz sicher unerreichbar war. Er konnte nur deshalb gänzlich lieben, weil diese Liebe von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Nur so war er in der Lage, sich hundertprozentig einzubringen. Auf der Roseninsel hatte er sozusagen einen mutigen Moment. Er wusste, dass sie ihn abweisen würde – aber dieses eine Mal wollte er ihr zeigen, was er fühlt. Einen Versuch war’s wert. Ich bin eh‘ der Meinung, dass König Ludwig II. ein Mensch mit sehr intensiven Emotionen war. Das versuche ich auch, auf der Bühne zu vermitteln.

Wie schaffen Sie es, diese Intensität aufzubauen, obwohl Sie nur wenige Shows spielen und zudem über 700 km zwischen Tecklenburg und Füssen pendeln?
Ich hatte fast alle Freiheit der Welt. Benjamin und Till (Anm. der Redaktion: Benjamin Sahler, Regisseur und Till Nau, Abendspielleiter und Choreograph) haben einen sehr weiten Rahmen gesteckt. „Bring nur Dein Talent mit“ sagten sie. Im ersten Moment rutschte mir das Herz echt in die Hose – das ist nämlich gleichzeitig auch eine riesengroße Herausforderung, vor allem, wenn man das so gar nicht mehr gewöhnt ist. Im En-suite-Spielbetrieb muss eine Show für das Publikum immer möglichst gleich sein, auch nach einem Castwechsel. Natürlich gab es auch hier bestimmte Dinge, die ich herausarbeiten sollte, aber mir ist ein sehr großer Spielraum für meine Art der Interpretation geschenkt worden. „Ok Jan“, sagte ich mir, „jetzt löse dich von allen Ketten.“ Mir war klar, dass ich nicht zu sehr über jedes Wort und jede Geste nachdenken, sondern die Rolle wieder atmen musste. Ich bin mit der Materie vertraut, also musste und konnte ich damit auch vertraut umgehen. Und auch mal spontan variieren.

ammann jan 17Gibt es dafür ein Beispiel?
Im zweiten Akt, bei Guddens Arie „Die Welt“ stehe ich als König Ludwig im Hintergrund am Tisch. Ich weiß, das Publikum sieht mich da schon. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich auf diesen Tisch legen zu wollen. Den Bruchteil einer Sekunde habe ich nachgedacht, dann hab‘ ich es einfach getan. Der König lebt in seinen Märchen, er ist ein Kind geblieben. Der Stuhl ist zu golden, der Saal ist zu groß, der Tisch zu hoch. Die Offenheit des Kreativteams hat mir ermöglicht, alles einzubringen, was ich gelernt habe – dazu gehört auch die Improvisation. In dem Moment konnte und durfte ich das tun, was ich aus dem Bauch heraus als richtig empfand. Vielleicht entsteht diese Intensität, weil ich hier hundertprozentig authentisch agieren kann. Solche Momente halten die Rolle lebendig. Man tritt nicht exakt in die Fußstapfen, die man beim letzten Mal hinterlassen hat, sondern wühlt ein bisschen Staub auf. Natürlich bleibt es immer die selbe Rolle und man muss reproduzieren. Aber das kann auch auf kreative Art und Weise geschehen – man agiert gleich und trotzdem anders.

Birgt diese künstlerische Freiheit auch Schwierigkeiten?
Schwierigkeiten vielleicht nicht direkt, aber es erfordert ein besonderes Maß an Sich-Einlassen. Dies gilt auch für Sequenzen, die sich nicht sofort erschließen. Beispielsweise war mir nicht sofort klar, was mit dem „Königsgefühl“ gemeint ist, das Ludwig erwähnt. Ich will aber nicht auf der Bühne stehen und diese Worte sagen, ohne dass ich mir ganz genau über deren Bedeutung im Klaren bin. Dies habe ich dann mit Till zusammen gezielt erarbeitet. So kam die Szene insgesamt in einen Fluss, ich konnte meine Freiheit als Darsteller mit der Form verbinden und alles fügte sich.

Jan Ammann: Vertiefte Rolleninterpretation auch im Musical „Rebecca“

Sie haben nun 12 Jahre mehr Berufserfahrung und mehr Lebenserfahrung. Wie bringen Sie das in Ihre Rolleninterpretation ein?
Meine Gefühlsspanne ist weiter geworden. Ich sehe das Leben als immerwährendes Auf und Ab, wie eine Sinuskurve. In gleichem Maße, wie die Amplitude nach oben ausschlägt, geht es auch nach unten. Je mehr Freude man also empfinden kann, desto härter trifft einen auch die Trauer. Beides gehört untrennbar zusammen. Denn nur, wer tiefe Traurigkeit kennt, weiß auch höchstes Glück zu schätzen. Wenn man älter wird, erschließt sich das immer mehr. Ich musste auch mit Trauer umgehen, die mich hart erwischt hat. Umso mehr weiß man dann zu schätzen, dass man am Leben ist. Auf der anderen Seite der Skala steht die Liebe zum eigenen Kind. Da gibt es kein Kalkül und keine Erwartungen, sondern nur pure Emotion. Man liebt bedingungslos und diese Liebe wird ohne Wenn und Aber erwidert. Dadurch, dass ich dies erlebe, habe ich auch die Möglichkeit, diese Tiefe in meine Arbeit einfließen zu lassen.

Das verändert vermutlich auch Ihre Darstellung der Rolle, die Sie parallel im Musical „Rebecca“ in Tecklenburg spielen?
Ja. Ich spiele Maxim de Winter jetzt auf jeden Fall mit anderem Fokus. Teils liegt das an Andreas Gergens Regie, der eine ganz große Lupe auf die Protagonisten setzt, teils an meinem größeren Erfahrungsschatz. Beides ergänzt sich. Schon in der ersten Szene entsteht im Publikum der Eindruck, dass mit diesem Typen etwas nicht stimmen kann. Er ist charmant, aber wirkt extrem gestresst, fast gehetzt. Keiner weiß so richtig warum. Klar, er hat seine Frau verloren, aber irgendwann muss doch auch mal gut sein.

rebecca tecklenburg 2017 01Von Anfang an blitzt durch, dass er offensichtlich massive Probleme hat. Deshalb dreht er auch von einer Sekunde zur anderen durch. Es wird alles sehr klein gespielt, sehr natürlich. Wenn man im Hotelrestaurant jemanden an seinen Tisch bittet, macht man das nicht mit tönender Stimme und ausladenden Gesten. Auch Maxims Wutausbrüche sind nicht aufgesetzt, sondern entstehen folgerichtig in Momenten, die er als bedrohlich empfindet.

Was zieht ihn zu „Ich“?
Seine Hoffnung. Er steckt in seinen Problemen fest, muss mit seinem dunklen Geheimnis leben und dabei noch ständig die Etikette wahren. Er war auf jeder Titelseite, auf der Bunten, der Gala, einfach überall. Er steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Schau, da sitzt Maxim de Winter. Was sieht der schlecht aus, blass und dünn ist er geworden, raucht eine Zigarette nach der anderen. Um Gottes Willen. Jeder tuschelt hinter seinem Rücken, aber keiner sagt ihm die Wahrheit ins Gesicht. Bis auf „Ich„. Schon ihre Antwort auf seine Frage, wie sie Monte Carlo findet, verblüfft ihn. Unwirklich sei es. Maxims Interesse ist geweckt. Als ihn dann auf den Klippen seine „dunkle Erinnerung“ überkommt, sagt sie allen Ernstes, dass er unglücklich aussehe. Niemals würde ihm das jemand aus seiner Gesellschaftsschicht so unverblümt sagen. In dem Moment wird sie für ihn zum Licht im Dunkel. Er hofft, dass sie ihn dieser Welt der Oberflächlichkeiten und Scheußlichkeiten entziehen kann. Mit seinem Heiratsantrag überfährt er sie natürlich komplett, aber irgendwie kann sie ja gar nicht ablehnen. Und dann kommen wir zurück in meine Dunkelheit, nach Manderley, wo Mrs. Danvers inmitten all‘ der Schatten regiert.

ammann jan 15Was passiert dann?
„Ich“ hat es schwer, dagegen anzukommen, aber in ihrer Unschuld und ihrer offenen Art spricht sie Dinge einfach aus, die jeder andere ängstlich umschifft. Dadurch löst sie ungewollt diese Wutausbrüche aus, die Maxim letztlich dazu bringen, ihr die Wahrheit zu gestehen. Ihm wird klar, dass er dieses Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen kann. Entweder er entscheidet sich für die Wahrheit oder die Last erdrückt ihn. Ich glaube, irgendwann wünscht sich jeder Schuldige, auspacken zu können und zu sagen „ja, ich habe es getan“. Endlich ist er frei. Nun richte mich Gott, aber ich bin endlich von den inneren Qualen befreit. So fühlt Maxim. Und dann übernimmt „Ich“ die Führung und „hilft ihm durch die Nacht“. Das gefällt mir.

Hinzu kommt, dass wir in Tecklenburg ja open-air spielen. Da entstehen Stimmungen, die man kaum beschreiben kann. Bei „Strandgut“, wenn die Taschenlampen im Nebel aufleuchten oder wenn Pia (Anm. der Redaktion: Pia Douwes als Mrs. Danvers) „hören sie das Rauschen der Brandung“ sagt und in dem Moment ein Windzug durchs Theater fegt. Es ist irre.

Beides, Ludwig II. und Maxim de Winter, sind emotional tiefe Rollen, oder?
Ja. Sehr.

Wäre es überhaupt möglich, beide parallel zu spielen, ohne Ihre Erfahrung aus den früheren Produktionen?
Nein, ich glaube, das wäre zu viel. Aber weil ich seinerzeit die Charaktere ja detailliert erarbeitet habe, ist das jetzt gut machbar. Ich kann mich auf die neuen Inszenierungen konzentrieren und die weite Strecke zwischen den Spielorten sogar nutzen, um zwischen den Rollen den nötigen Abstand zu schaffen. Das Schöne ist, dass beide Musicals dramaturgisch gut durchdacht und textlich und inhaltlich wertvoll sind. Das macht es mir leicht, mich fallen zu lassen. Trotzdem brauche ich Konzentrationsphasen, in denen ich alles leere um wieder frei für das nächste zu beschreibende Blatt zu sein. Wenn ich wieder nach Tecklenburg fahre, bleibt Ludwig behütet bis zur nächsten Show.

„Alle Kunst will Ewigkeit“ singt der König in „Geliebte Berge“. Wünschen Sie sich das auch für Ihr künstlerisches Schaffen?
Das ist eine sehr tiefgründige Frage. Als Musicaldarsteller bin ich zugleich Handwerker und Künstler. Wenn ich auf die Bühne gehe, nehme ich meinen Werkzeugkasten und der Regisseur sagt, ob ich einen Schraubendreher oder eine Kreissäge benutzen soll. Ich muss dafür sorgen, dass der Werkzeugkasten voll ist und ich das richtige Werkzeug in die Hand nehme, sprich, die richtigen Entscheidungen treffe. Die Kunst liegt für mich darin, dieses Handwerk mit aller Hingabe authentisch auszuüben.

Es macht mich glücklich, dass ich in wirklich tollen Produktionen dabei sein und viele Menschen erreichen kann. Ich bin sehr dankbar, dass die Leute mich so schätzen wie ich bin und sich freuen, wenn sie mich auf der Bühne erleben. Und ich wünsche mir, dass das noch lange Zeit so bleiben wird.

Interview: Sylke Wohlschiess

Die Fotos im Interview erscheinen mit freundlicher Genehmigung von Peter Samer, Fotostudio Samer in Füssen, der Pressestelle Big Dimension GmbH („Ludwig²“)und der Pressestelle Freilichtspiele Tecklenburg („Rebecca“). Herzlichen Dank. Wer Jan Ammann im Netz besuchen möchte, klickt bitte hier.

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Mehr zu Jan Ammann auf MusicalSpot.de:

Rezension „Ludwig²“ in Füssen, mit Jan Ammann in der Titelrolle, August 2017. Alle weiteren Inhalte zum Musical „Ludwig²“ sind in unserer Spielzeitübersicht verlinkt. Dort finden sich auch alle Verlinkungen zu den sonstigen Inhalten über Jan Ammann. Hier ein Auszug:

Konzert-Rezension „Milestones Project“ in Filderstadt, mit Jan Ammann, Volkan Baydar, Andreas Bieber und Mark Seibert, März 2017

CD-Rezension „Moulin Rouge Story“ Studio-Cast, mit Jan Ammann als Henri de Fontillac, Februar 2016

Rezension „Victor/Victoria“ in Stuttgart, mit Jan Ammann als King Marchan, Dezember 2013

Rezension „Show Boat“ in Bad Hersfeld, mit Jan Ammann als Gaylord Ravenal, Juni 2013

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