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Einblicke: Musical „Anastasia“ in Stuttgart

12.11.2018 - Tragische, geheimnisumrankte Schicksale in bewegten Zeiten bilden den besten Nährboden für die Entstehung von Legenden – und für Musicals, die solche Legenden aufleben lassen. „Anastasia“ erzählt die Geschichte der letzten Zarentochter, Anastasia Romanow, die angeblich als einzige die Ermordung ihrer Familie überlebte.

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Blick in die Vergangenheit

„Anastasia“, das Musical von Stephen Flaherty (Musik), Lynn Ahrens (Songtexte) und Terrence McNally (Buch), spielt vor dem Hintergrund der Ereignisse in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Mit der industriellen Revolution war eine Mittelschicht entstanden, die politische Reformen und Einflussnahme forderte. Der seit 1894 regierende Kaiser Nikolaus II. gewährte jedoch nur halbherzige Zusagen und bestand im Prinzip auf seinem alleinigen Machtanspruch.

Als der Ausbruch des 1. Weltkriegs zu immer größeren Problemen für die russische Bevölkerung führte, verweigerte letztlich auch die Armee den Gehorsam, sodass sich Nikolas II. zur Abdankung gezwungen sah. Von der Übergangsregierung wurden er und seine Familie im Alexanderpalast unter Hausarrest gestellt.

Mit der Machtübernahme der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917 war das endgültige Aus besiegelt: 300 Jahre Herrschaft der Romanow-Dynastie endeten in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1918 mit der Erschießung von Nikolas II., seiner Gemahlin Alexandra Fjodorowna, des Sohnes Alexei und der vier Töchter Olga, Tatjana, Maria – und Anastasia.

Oder hat sie womöglich doch überlebt?

Die Handlung des Musicals „Anastasia“…

… setzt bei diesen Gerüchten an.

anastasia musical stuttgart 2018 12Angeblich soll Anastasia als Einzige den Mördern entkommen sein, aber ihr Gedächtnis verloren haben. Auch Anastasias in Paris lebende Großmutter Maria Fjodorowna hofft, dass Anastasia noch lebt und setzt eine Belohnung aus. Davon bekommen die Gauner Dmitry und Vlad Popov Wind. Sie wollen sich das Geld sichern und die verlorene Enkelin präsentieren. Dazu braucht es nur ein junges Mädchen, das der Verstorbenen ähnlich sieht. Die beiden treffen auf Anja und machen sich auf den Weg nach Paris…

Bühnenbilder

Von den tief verschneiten Straßenzügen St. Petersburgs geht es ins quirlige Paris der 1920er-Jahre. Um möglichst schnell und zugleich optisch überzeugend die unterschiedlichen Schauplätze entstehen zu lassen, wird modernste Projektionstechnik mit klassischem Theaterdesign verbunden. Marmorierte Bodenplatten, Kronleuchter, Fensterfronten und Säulen - schon die Kulissen sind beeindruckend.

Dahinter versteckt sich eine 18 x 12 Meter große LED-Wand, die sich aus mehr als 430 einzelnen Panelen zusammensetzt. Diese liefern gestochen scharfe und sehr realistische Bilder mit Tiefenwirkung.

Wie die Verzahnung von Bühnenbild und Projektion wirkt, demonstriert der Technische Leiter des Produktionsaufbaus, Clemens Weissenburger. Es geht vom Winterpalais direkt in die Pariser Oper.

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Die Kulissen werden ergänzt durch eine Vielzahl an Requisiten und Deko-Elementen, die hinter der Bühne auf ihren Einsatz warten.

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Kostüme wie ein Klimt-Gemälde

Gold, üppige Farben und Muster: Linda Cho, die Kostümdesignerin der Broadway-Produktion von „Anastasia“, ließ sich durch eines der berühmtesten Gemälde von Gustav Klimt inspirieren. Die aufwändigen Gewänder fügen sich perfekt in das Bühnenbild und ergeben in Verbindung mit der ausgeklügelten Lichtregie ein in sich stimmiges Gesamtbild.

anastasia musical stuttgart 2018 17„Um die entsprechenden Stoffe für die Ballettszene auszusuchen, hat ihr Team eigens Kopien des Bildes ins Stoffgeschäft mitgenommen“, so erzählt Reto Tuchschmid, der als Associate Costume Designer das Kostümbild in Madrid und in Stuttgart verantwortet. Und weiter: „Die gerade geschnittenen russischen Uniformen bilden einen starken Kontrast zur frechen und verspielten Charleston-Mode im Paris der wilden 1920er Jahre oder zu der opulenten und farbenfrohen Zarenrobe. Das Ensemble und allen voran unsere Titelfigur Anja machen optisch einen großen Wandel durch, hier wird das Publikum immer wieder etwas Neues zu sehen bekommen.“

Die Darsteller wechseln während jeder Show immer wieder die Kostüme. Das ist gar nicht so einfach, denn es muss schnell gehen. Beispielsweise hat die Darstellerin der Titelfigur gerade mal 45 Sekunden Zeit, um in das rote Kleid zu schlüpfen. Zwei Dresserinnen helfen dabei. „Es gibt dafür sozusagen eine Choreographie“, schmunzelt Reto Tuchschmid, „wer macht die Schuhe, wer schließt den Reißverschluss“. Die Abläufe werden akribisch geplant und geprobt, denn jeder Handgriff muss hunderprozentig sitzen.

Vor allem die Ballkleider sind nicht nur wunderschön, sondern auch edel und hochwertig. Über 12.000 Euro teuer ist Anjas rotes Kleid. Die aufwendige Machart, die speziell eingefassten Rüschen, das Unterkleid – unheimlich viele Arbeitsstunden waren nötig, um diese Robe fertigzustellen. Dabei gibt es noch eine Besonderheit: Damit der vordere Split des Kleides immer gleich und ganz gerade ist, hat man zwei dünne Eisenstangen eingearbeitet.

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Und der Mythos?

Cast und Kreative zaubern die Geschichte um Anastasia in bewegenden Bildern und Liedern auf die Bühne. Doch wie verhält es sich mit dem Mythos?

Die Gerüchte, dass Anastasia überlebt haben könnte, gab es von Anfang an. Ein russisches Forscherteam hatte bereits 1991 die sterblichen Überreste der Romanows und ihrer Bediensteten gefunden. Als nach dem Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion im Jahr 1994 die Leichen exhumiert wurden, fehlten zwei. Die Legende erhielt also neue Nahrung. Erst 2007 wurden die vermissten beiden Leichen in einem Birkenwald nahe der Stadt Jekaterinburg im Ural entdeckt und konnten durch mehrere DNA-Analysen als Sohn und Tochter des Zaren identifiziert werden. Somit war bewiesen, dass auch Anastasia von den Bolschewiki umgebracht wurde. Die Romanows waren nach der Oktoberrevolution in Jekaterinburg gefangen gehalten und getötet worden. 1998 wurden sie in St. Petersburg beigesetzt. Zwei Jahre später sprach die russisch-orthodoxe Kirche die ermordeten Romanows heilig.

Aber aufgrund von Zweifeln der Kirche an der Echtheit der Gebeine wurden 2015 von der Ermittlungsbehörde in Moskau die Untersuchungen erneut aufgenommen. Erst im Sommer 2018 haben die russischen Behörden die Echtheit der sterblichen Überreste der Zarenfamilie bestätigt. Die Anerkennung durch die russisch-orthodoxe Kirche steht noch aus.

Es ist also ein besonders geschichtsträchtiges Jahr, in dem das Musical „Anastasia“ in Stuttgart seine Deutschlandpremiere feiert. Eins aber ist sicher: Auf der Musicalbühne lebt die letzte Zarentochter weiter.

Fotos: Klaus Schnaidt
Text: Sylke Wohlschiess

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