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Nachts im Schloss:
Rezension „Jekyll & Hyde“ in Zwingenberg

Wenn es Nacht wird auf Schloss Zwingenberg, schleicht Mr. Hyde durch dunkle Gänge, auf der Suche nach seinen Opfern, bereit mit bloßen Händen zu töten. Dann gewinnt nach einem eher zähen Anlauf Anja Kühnholds Inszenierung des Wildhorn-Musicals „Jekyll & Hyde“ an Fahrt.

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Frank Wildhorn (Musik) und Leslie Bricusse (Libretto) nahmen Robert Louis Stevensons Roman „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ als Basis für ihre musikalische Umsetzung der unheimlichen Ereignisse, die Dr. Henry Jekyll mit seinem Selbstversuch in Gang setzt. Geradezu besessen vom Wunsch, das Gute vom Bösen im Menschen zu trennen, trinkt er sein Elixier JH7 – und erschafft das Monster Edward Hyde.

Ziemlich „monstermäßig“ angelegt ist denn auch der Zwingenberger Mr. Hyde. Zwischen tierhaftem Grollen und halsbrecherischen Kletterpartien über Orchesterabsperrung und seitliche Lautsprechertürme bleibt dem grandiosen Drew Sarich nicht viel Spielraum für eine subtilere Darstellung des Bösen. Diesen nutzt er aber sofort – man hat wohl selten jemanden sich so bedrohlich auf einem Sofa aalen sehen. Im Duett „Gefährliches Spiel“ mit Ann Mandrella als Prostituierte Lucy Harris entsteht durch aufreizend langsame Bewegungen und die fast flüsternde Stimme eine düster-gefährliche Erotik, die Mandrella mit ausdrucksstarker Mimik zwischen Faszination und Furcht noch verstärkt.

jekyll hyde 04In der Titelrolle kann Drew Sarich seine stimmliche Vielseitigkeit demonstrieren. Zwar ist auch sein Dr. Jekyll schon recht aggressiv angelegt, dennoch gelingen ihm die sanften Töne bei „Ich muss erfahren“ oder im Duett „Nimm mich wie ich bin“ mit Jana Marie Gropp als seiner Verlobten Lisa Carew ebenso, wie die drängenden Passagen im Solo „Dies ist die Stunde“. Henry Jekyll schluckt seine Droge und befreit so Edward Hyde, was durch Lösen der zusammengebundenen schwarzen Mähne visualisiert wird. Zur Höchstform läuft Sarich bei „Die Welt ist völlig irr“ auf, wenn er mit beinahe überschnappender Stimme ins Rock-Falsett wechselt und dabei wie von Sinnen über die Bühne wütet. Schade, dass es in der wichtigen „Konfrontation“ keine unterstützenden Lichteffekte gibt, um die Wechsel zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu verdeutlichen. So bleiben Sarich nur minimale, schnelle Positionsänderungen und ausladende Bewegungen mit dem linken Arm, der in den Jekyll-Szenen gelähmt an den Körper gepresst bleibt, um die Unterschiede darzustellen. Ein schauspielerischer Kraftakt, dem es wohl geschuldet ist, dass hier kaum klangliche Differenz zwischen den beiden Seiten der Titelrolle zu hören ist.

jekyll hyde 01„Nur sein Blick“, das Duett beiden Frauen im Leben des Jekyll/Hyde, wird durch die Ebenbürtigkeit und die stimmliche Harmonie der beiden Sopranistinnen Ann Mandrella und Jana Marie Gropp zu einem der großen Momente. Beide überzeugen auch mit ihren Soli. Gropp richtet den Blick in weite Ferne, vermittelt so Lisas schmerzliches Zurück-Erinnern an die guten Tage mit Henry Jekyll und singt ein berührendes „Da war einst ein Traum“. Mandrella variiert ihre Stimme rollengerecht und legt Lucys ganze Sehnsucht in „Ein neues Leben“. Hier klingt sie sanft und träumerisch, bei „Schaff die Männer ran“ dagegen lasziv und schwungvoll. Leider hat sie nur wenig Chancen, auch ihr tänzerisches Können zu zeigen, denn es fehlt eine ebenso schwungvolle Choreografie. Aus dieser Szene hätte Choreografin Barbara Tartaglia mehr machen können.

Das gilt auch für die Choreografie insgesamt. Natürlich kann man von einem Laienensemble wie dem Chor der Zwingenberger Schlossfestspiele keine hochkomplizierten Schrittkombinationen einfordern, aber etwas mehr als ein uninspiriertes Hin und Her und bei „Fassade“ eine wischende Handbewegung vor dem Gesicht hätte man den engagierten Freizeit-Akteuren durchaus zutrauen dürfen. Die Damen und Herren, Jungs und Mädels haben sichtlich Freude auf der Bühne und liefern vor allem in den voluminösen Partien auch eine gute gesangliche Gesamtleistung ab.

Hervorragend besetzt sind auch die kleineren Rollen, allen voran Bianca Spiegel, die eine großartige Nellie gibt, perfekt in jeder Geste, jedem kleinen Blick und von großer Stimmstärke bei „Mädchen der Nacht“. Holger Ries als John Utterson vermittelt sehr überzeugend dessen bescheidene, zurückhaltende Art. Als er am Ende Hyde erschießt und dadurch seinen besten Freund Jekyll erlöst, spielt er eindrücklich Uttersons tiefe Trauer und Fassungslosigkeit. Werner Pürlings würdiges Auftreten macht ihn zum idealen Sir Danvers Carew. Als Simon Stride fällt Benjamin Schuster mit klarem, schönem Tenor auf. Die Lacher auf ihrer Seite hat Deborah Feth als Lady Beaconsfield, die auf das „Buh“ von Edward Hyde einfach tot umfällt.

jekyll hyde 03Was bei Anja Kühnholds Inszenierung zu kurz kommt, ist die Entwicklung der Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Die Charaktere bleiben sehr isoliert. Das Liebesduett zwischen Jekyll und Lisa ist eher distanziert in Szene gesetzt, auch die Freundschaft zwischen Utterson und Jekyll wird nicht deutlich herausgearbeitet. Insgesamt zieht sich der erste Akt etwas in die Länge, deutlich dynamischer wird es gegen Ende. Bei der Wohltätigkeitsveranstaltung akrobatische Einlagen der Showtanzgruppe einzubauen, ist ein guter Einfall. Ansonsten fehlt es an kreativen Details bei der Umsetzung des vielschichtigen Stoffes, was auch für Elin Dokas Bühnenbild gilt.

Links ein „Rote Ratte“-Schild und ein Sofa als Lucys Wirkungsstätte, rechts ein mit Glastiegeln und Büchern beladener Schreibtisch, sowie eine zweite Ebene im Lautsprecherturm als Jekylls Laboratorium. Das ist zwar ausreichend, wirkt aber ein wenig lieblos. Der optische Eindruck wird zudem gestört durch die schwarze Abdeckung zwischen Orchesterempore und Bühne und durch die Stühle, die zu Beginn bei der Szene vor dem Krankenhausausschuss benötigt werden, danach aber nutzlos stehen bleiben. Vielleicht hat man sich hier zu sehr auf die Wirkung des beeindruckend aufragenden Schlosses verlassen. Gelungen sind die historischen Kostüme von Valerie Hirschmann. Lisa erscheint stets in hellen Farben, Lucy in für ihren Beruf ziemlich hochgeschlossenem Schwarz. Die Herren tragen Cut, die Damen der feinen Gesellschaft lange Roben mit Tournüren.

Ausgewogen ausgesteuert ist der Ton, der klar und sauber das tontechnisch nicht ganz einfache Gelände beschallt und das unter Musikalischer Leitung von Intendant Rainer Roos sicher durch die Partitur rockende Orchester ins beste Klangbild setzt. Die Leistungen der gesamten Cast machen das eine oder andere Manko der Inszenierung wett, so dass sich ein Besuch bei „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ an dieser außergewöhnlichen Spielstätte durchaus lohnt.

Text: Sylke Wohlschiess

 
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